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Entwurf eines Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten

22.2.2021, RAV-Stellungnahme

Stellungnahme des RAV zum »Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten«

Die Bundesregierung will die Veröffentlichung von sogenannten Feindeslisten unter Strafe stellen. Der nun vorgelegte Entwurf ist einerseits reine Symbolpolitik, die auf tatsächlicher Ebene gerade nicht geeignet ist, Menschen vor rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffen zu schützen. Andererseits bedeutet der weit gefasste Tatbestand einen direkten Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit und verlagert zahlreiche Probleme des Persönlichkeitsrechts, die bislang vor spezialisierten Pressekammern ausgetragen wurden, in die Verantwortung von Polizei und Staatsanwaltschaften.
Wie so oft im ›Kampf gegen Rechts‹ wird politischer Aktivismus mit einem Regelungsdefizit gerechtfertigt, obwohl eigentlich ein Vollzugsdefizit vorliegt.

Die Feindeslisten, die in den vergangenen Jahren bei Neonazis und Rechtsterroristen aufgefunden wurden, waren zuvor gerade nicht öffentlich verbreitet worden. Sie stellten vielmehr interne, klandestine Listen dar, die der Markierung von politischen Gegner:innen dienten. Der vorgeschlagene Gesetzesentwurf würde daher diese besonders gefährlichen Feindeslisten gar nicht erfassen, da er an das Tatbestandsmerkmal der ›Öffentlichkeit‹ bzw. des ›Verbreitens‹ anknüpft.

Der Gesetzesentwurf schafft eine ›Opferhierarchie‹. Er ignoriert, dass eine Vielzahl von Menschen, aufgrund ihrer Hautfarbe, religiöser Symbole etc., also qua ihres Erscheinungsbildes, als ›Feind:innen‹ markiert werden. Wo die Synagoge, die Moschee oder die Flüchtlingsunterkunft steht, ist bekannt. Wer Schwarz ist, wird rassistisch markiert. Diese Orte und Personen sind, ohne dass sie gesondert auf Feindeslisten auftauchen, permanent der Gefahr extrem rechter Angriffe ausgesetzt. Statt Symbolpolitik mit der Strafbarkeit von Feindeslisten zu betreiben, sollten Minderheiten endlich effektiver vor rechten Angriffen geschützt werden. »Selbstverteidigung. Wenn Synagogen auf sich allein gestellt sind« lautet eine der Überschriften im Buch »Terror gegen Juden« und offenbart, wie es um den Schutz von Minderheiten derzeit bestellt ist. Bevor der Staat sich also noch eine Aufgabe überhilft, die er weder willens noch in der Lage ist, zu bewältigen, sollten die eigenen Strukturen in Hinblick auf Rassismus und Antisemitismus untersucht und effektive Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

Wer den bisherigen Umgang der Polizei mit rechten Gewalttaten kennt, den mangelnden Ermittlungseifer, die Täter-Opfer-Umkehr etc., der:die kann sich vorstellen, mit welchem Engagement gegen Feindeslisten von Nazis vorgegangen werden wird. Betroffene wurden in der Vergangenheit immer wieder abgekanzelt, es sei doch gar nichts passiert, das sei zu unkonkret, und überhaupt sei die Anschrift über das Telefonbuch, über das Impressum auf der Homepage o.ä. doch sowieso bekannt.[1] Und wenn den Betroffenen nur diese Ignoranz entgegenschlug, konnten sie sich schon ›glücklich‹ schätzen. Oftmals berichten Betroffene rechter Attacken – vollkommen egal, ob psychisch oder physisch – davon, dass rassistische, antisemitische, frauenfeindliche oder homophobe Angriffe noch verharmlost, wiederholt oder gerechtfertigt worden sind.[2] Nur am Rande sei erwähnt, dass sich Polizei und Ministerien bis heute gegen unabhängige Beschwerdestellen[3] und externe wissenschaftliche Untersuchungen zu Rassismus in den eigenen Reihen sperren.[4]
Dieser Gesetzesentwurf versucht Sand in die Augen zu streuen, um davon abzulenken, dass staatliche Institutionen keinerlei Selbstkritik und Fehlerkultur hinsichtlich rechter Netzwerke in den eigenen Reihen entwickeln wollen.

Um das Ausspähen und Verbreiten von Daten in extrem rechten Kreisen zu vermeiden, wäre es, bevor ›der große Wurf‹ eines Strafgesetzes unternommen wird, sinnvoll, zunächst einmal die bestehenden straf- und dienstrechtlichen Vorschriften umzusetzen und entsprechende Konsequenzen herbeizuführen. Die privaten Daten unserer Kollegin Seda Başay-Yıldız, deren Familie und sie selbst seit Jahren durch massive Drohschreiben des NSU 2.0 eingeschüchtert werden sollen, stammen aus Abfragen von Frankfurter Polizeicomputern. Die mehrfachen polizeilichen Datenabfragen, die zur Bedrohung vor allem weiblicher Personen, die sich gegen ›Rechts‹ engagieren oder zu Bedrohungen linker Aktivist:innen führten, sind bislang folgenlos für die handelnden Beamt:innen geblieben. Solange die Sicherheitsbehörden selbst aktiv an der Fütterung von Feindeslisten beteiligt sind, solange wöchentlich von »bedauerlichen Einzelfällen«, die in die Tausende gehen, berichtet wird, in denen mal wieder rechtsextreme Parolen, Symbolik und Beschimpfungen in ›internen‹ Polizeichats geäußert werden, solange werden mit Gesetzesentwürfen wie diesem bloße Nebelkerzen geworfen.

Apropos Polizei: Zu den in der Vergangenheit aufgetauchten rechtsextremen Feindeslisten wurde durch Betroffenenverbände und zivilgesellschaftliche Organisationen immer und immer wieder gefordert, dass diejenigen Personen, die auf diesen Listen genannt werden, wenigstens informiert, besser noch diese über entsprechende Gefährdungslagen aufgeklärt und bei Schutzmaßnahmen unterstützt werden. Eine Vielzahl der Bundesländer verweigert dies bis heute. Auch das Bundeskriminalamt leugnete eine Gefährdung der Betroffenen und sah keinen Handlungsbedarf. Die vielfach vorgenommene (Nicht-)Gefährdungsanalyse deckt sich mit dem auch sonst häufig rudimentären Wissensstand bzw. der Negierung rechter Gefahr durch die Sicherheitsbehörden. Ein tatsächliches Schutzangebot durch die Polizei erhalten die wenigsten Personen.

Interessant ist aber, woher auf einmal Unterstützung für den Gesetzesentwurf kommt. Das Bundeskriminalamt betont, dass von dem neu zu schaffenden Tatbestand auch das ›Outing‹ politischer Gegner umfasst wäre. Es deutet damit bereits jetzt an, dass bei einem sogenannten ›Outing‹ die Eignung zur Aussetzung einer entsprechenden Gefahr per se angenommen werden wird. Damit würden nach diesem Entwurf nicht etwa die Verfasser:innen klandestiner rechtsextremer Feindeslisten der Strafverfolgung ausgesetzt, sondern zivilgesellschaftliche und journalistische Aufklärung über rechte Kader und Funktionäre. Die Umsetzung dieses Gesetzesentwurfs wird unweigerlich dazu führen, dass die Strafverfolgung in zunehmendem Maße direkt in die Recherchearbeit von Journalist:innen und zivilgesellschaftlichen Initiativen eingreifen wird und Presseveröffentlichungen zukünftig regelmäßig von Staatsanwaltschaften und Gerichten zu überprüfen sein werden. Damit wird ein seit Jahrzehnten gut funktionierendes System der Kontrolle von Presseveröffentlichungen durch die Organe der Presse sowie die hochspezialisierten Pressekammern in Frage gestellt.

Der Entwurf sieht vor, dass es strafbar sein soll, frei recherchierbare personenbezogene Daten einer anderen Person öffentlich zu machen, wenn dies geeignet ist, diese Personen der Gefahr von jedenfalls erheblichen Straftaten auszusetzen. Bereits in der Gesetzesbegründung wird dies ausgeweitet. So heißt es dort, es »besteht deshalb ein Bedürfnis nach einer Strafbarkeit einer solchen Veröffentlichung personenbezogener Daten, bei der die Eignung besteht, dass die betroffenen Personen der Gefahr gegen sie gerichteter rechtswidriger Taten ausgesetzt werden«. Wenn jegliche Veröffentlichung frei verfügbarer personenbezogener Daten, die dazu führen kann, dass von Dritten rechtswidrige Taten gegen die Person begangen werden, strafbar ist, ist eine konkrete Berichterstattung über Politiker:innen oder andere Personen des öffentlichen Interesses, die auch ganz konkret deren Handlungsort, Wohnort oder Tätigkeitsfeld umfasst, nicht mehr möglich. Bereits die namentliche Nennung einer:s in einer ländlichen Region tätigen Aktivist:in oder Politiker:in und der Hinweis, in welchem Dorf sie:er wohnt, könnte diese:n einer solchen Gefahr aussetzen und damit den Straftatbestand erfüllen.

Dies gilt umso mehr, als dass der Tatbestand völlig unklar ist. Wann erfolgt eine Veröffentlichung »in einer Art und Weise […], die geeignet ist«, eine Person der Gefahr der Begehung von Straftaten auszusetzen? Reicht dabei der Hinweis auf politische Gegenaktivitäten oder eine deutlich ablehnende innere Haltung gegen diese Person? In der Begründung des Gesetzes wird ganz offen vorgetragen: Als Umstände, die eine konkrete Gefährdungseignung bei Veröffentlichungen im Internet nahelegen, kämen »insbesondere die Anonymität des Verfassers, die extremistische Ausrichtung der Internetseite, auf der die Daten veröffentlicht werden (in Abgrenzung zu sachlich-informativer Berichterstattung), die Zuordnung der Veröffentlichung zu einer Gruppierung aus dem extremistischen Spektrum oder zu verfassungswidrigen Organisationen (§ 86 Absatz 1 StGB)...« in Betracht. Somit wäre bereits die Einschätzung einer Internetseite als ›extremistisch‹ (durch den Verfassungsschutz) zukünftig ausreichender Beleg, um eine »konkrete Gefährdungseignung« zu belegen. Gerade vor dem Hintergrund der Erfahrung des Deutungsstreits um die Geschehnisse bei Demonstrationen in der Stadt Chemnitz, als der damalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Maaßen, Journalist:innen und Aktivist:innen, die von rassistischen Hetzjagden sprachen, offiziell der Lüge bezichtigte, muss einem solchen angestrebten Monopol über die Berichterstattung durch Sicherheitsbehörden vehement widersprochen werden. Denn gerade in solchen, unübersichtlichen Ereignissen sind es oftmals aktivistische Journalist:innen und Mitglieder von Rechercheteams ohne Anbindung zu großen Medien, die entsprechendes Geschehen zu Tage fördern, bevor dies in größerem Umfang aufgegriffen wird. Eine identifizierende Berichterstattung durch solche Quellen könnte damit strafbar werden, während gleichzeitig – wie im Fall Chemnitz/Maaßen geschehen – etablierte Medien politisch unter Druck gesetzt werden.

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass bislang beispielsweise kein behördlicher Druck zur Umsetzung der Maßnahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes erkennbar ist, das die Verbreitung von Drohungen, Schmähungen und Beleidigungen sowie die bedrohliche Verbreitung höchstpersönlicher Daten ja bereits jetzt effektiv bekämpfen könnte, lässt sich vermuten, dass der nun vorliegende Gesetzesentwurf eigentlich ausschließlich auf die Einschränkung der Pressefreiheit gerichtet ist. Da das vom Bundeskriminalamt beklagte ›Outing‹ im Wesentlichen ein Bekanntmachen der Identität rechtsextremer Aktivisten darstellt, entsteht die entlarvende Situation, dass hier ein vor allem gegen antifaschistische Initiativen, zivilgesellschaftliche Vereine und Journalist:innen gerichtetes Gesetz als angebliche Reaktion auf das Bekanntwerden von ›Feindeslisten‹ von Neonazis präsentiert wird.

Dieses Verfassungsschutz-Aufwertungsgesetz lehnen wir ab. Wir werden dem Staat nicht die Deutungshoheit darüber überlassen, welche rückschrittlichen Kräfte eine offene und humane Gesellschaft bedrohen. Der Gesetzesentwurf ignoriert in infamer Weise die manifeste Kritik an den Sicherheitsbehörden, die im Bereich Rechtsextremismus immer noch selbst Teil des Problems sind, und kriminalisiert Engagement gegen Rechts.

Wir sind uns dessen bewusst, dass diese Stellungnahme nicht die erhoffte sachlich-juristische Auseinandersetzung mit dem Gesetzentwurf ist, wie sie der Gesetzgeber wünscht und gewohnt ist. Dies ist Folge der letzten Jahrzehnte: Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Hoyerswerda, der NSU, Heidenau, die Gruppe Freital, der Angriff auf Leipzig-Connewitz, NSU 2.0, Kassel, Halle, Hanau – diese Aufzählung rechter Gewalt ließe sich bedauerlicherweise noch über Zeilen fortsetzen. Allen Betroffenen von rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt und Hetze gehört unsere Solidarität und Unterstützung. Engagierten Journalist:innen, Menschen, die sich klar gegen Rechts positionieren, und nicht zuletzt antifaschistischen Recherchekollektiven und Fachjournalist:innen gilt unser Dank. Sie alle müssen wir als Gesellschaft schützen und ihre Arbeit fördern.

Deswegen brauchen wir den vorliegenden Gesetzesentwurf nicht: Wir brauchen eine Praxis des ›Nie Wieder‹ und die Erkenntnis, dass rechte Gewalt tötet. Wir fordern eine kontinuierliche Förderung von Demokratie- und Opferschutzprojekten und das Ende der Kriminalisierung antifaschistischen Engagements.

22.02.2021

Dr. Kati Lang, Dresden
Kristin Pietrzyk, Jena/Leipzig
Alexander Hoffmann, Kiel/Leipzig

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[1] https://www.tagesschau.de/investigativ/fakt/feindeslisten-101.html
[2] https://www.rav.de/publikationen/rav-infobriefe/infobrief-120-2020/der-neukoelln-komplex/
[3] Vgl. dazu https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/gesetz-zur-einfuehrung-des-oder-der-buergerbeauftragten-des-landes-berlin-und-des-oder-der-beauftragten-fuer-die-polizei-berlin/a264d615d855e8deaefbbfd4b961c13c/
[4] Zuletzt etwa: https://textrecycling.wordpress.com/2021/02/17/offener-brief-gegen-die-diskreditierung-unabhangiger-polizeiforschung/

RAV-Stellungnahme als PDF von der RAV-Webseite.

Gesetzesentwurf