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Der Terrorismusvorbehalt im Flüchtlingsrecht am Beispiel der PKK - Mündliche Verhandlung vor dem EuGH zum Thema »Terrorismusvorbehalt« im Asylrecht am 9. März 2010 um 9:00 Uhr

Stellungnahme zur Vorlage des BVerwG an den EuGH
»Daß Du Dich wehren mußt, wenn Du nicht untergehen willst, wirst Du doch einsehen« (B. Brecht) Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor rund einem Jahr exemplarisch zwei Verfahren zu Fragen der Auslegung des so genannten Terrorismusvorbehalts i.S.d. Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtline) und § 3 Abs. 2 AsylVfG (alte Fassung: § 60 Abs. 8 AufenthG) vorgelegt und zugleich seine eigenen Rechtsansichten zu den aufgeworfenen Fragen formuliert (BVerwG 10 C 48.07 betreffend einem ehemaligen Mitglied der DHKP/C und BVerwG 10 C 46.07 betreffend einem ehemaligen Mitglied der PKK). Der Europäische Gerichtshof hat die beiden Sachen zur gemeinsamen Entscheidung verbunden (C–57/09 und C 101/09). Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde auf den 9. März 2010 festgelegt. In der Folge sind viele Asylverfahren insbesondere von Angehörigen (ehemals) bewaffnet kämpfender Organisationen aus der Türkei, welche in der ersten Instanz vor den Verwaltungsgerichten mit der Verpflichtung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder gar zur Gewährung von Asyl gem. Art. 16 a GG gewonnen worden waren, nach Beantragung der Zulassung der Berufung durch die BRD von den Oberverwaltungsgerichten mit Blick auf die zu erwartende Entscheidung des EuGH eingefroren worden. Das hat u.a. zur Folge, dass die Betroffenen nunmehr seit Jahren als Asylbewerber mit der aus diesem Status resultierenden Rechtlosigkeit leben müssen. Am Beispiel der PKK und der Türkei sollen diese Verfahren zum Anlass genommen werden, die Anwendung des Instituts des Terrorismusvorbehalts auf Mitglieder bewaffnet kämpfender Organisationen zu untersuchen.
1. Die Ansicht der Bundesregierung und des BVerwG
In der mündlichen Verhandlung im Verfahren 10 C 48.07 am 14.10.08 vor dem Bundesverwaltungsgericht verzichtete Herr Klein als Vertreter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge immer wieder zugunsten der Vertreterin des Bundesministeriums des Innern (BMI), Frau Stamm, auf seine Darlegung der Rechtsauffassung des Bundesamtes, was zu der erstaunlichen Stellungnahme im Namen des BMI führte, dass keinesfalls jede kämpfende Gruppe und deren Mitglieder als »terroristisch« und damit asylunwürdig i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylVfG angesehen würden. Das Problem der Aussage »Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer«, welchem man zukünftig womöglich bei Erfolg des entsprechenden Kampfes als politischem Repräsentanten eines neuen politischen Gebildes in diplomatischen Beziehungen gegenüberstehe, sei der Bundesregierung sehr wohl bewusst. Nicht jeder bewaffnete Kampf würde daher als »terroristisch« eingestuft. Allerdings ginge das BMI davon aus, dass ein bewusster Eintritt oder Verbleib in eine/r Organisation, welche unter anderem auch zu »terroristischen« Methoden greife, nach Ansicht der Regierungsvertreterin zum Ausschluss des Flüchtlingsstatus führen müsse. Solche Gruppen seien jedenfalls all diejenigen, die auf der EU–Terrorliste aufgeführt sind.
Entsprechend geht das BVerwG davon aus, was sich in den Vorlagefragen an den EuGH spiegelt, dass die aktive, selbst unbewaffnete Unterstützung der Ziele einer Organisation, die auf der EU–Terrorliste verzeichnet ist und die unter anderem auch zu »terroristischen« Methoden greife, die Verweigerung des Rechts auf Schutz vor politischer Verfolgung rechtfertige, ohne dass es auf die weitere Prüfung der persönlichen Verantwortung für derartige Übergriffe ankomme. Selbst eine womöglich später erfolgte »Abkehr« könne an der einmal eingetretenen »Asylunwürdigkeit« des Betroffenen nichts mehr ändern.
Diese eindimensionale und eingleisige Sichtweise wird weder der weltweiten Realität unterdrückter Menschen und Völker gerecht, noch beachtet sie die zwingenden Normen des Völkerrechts, welche eine sehr viel differenzierte Betrachtung erfordern. Sie resultiert letztlich aus einer eurozentrischen Hegemonievorstellung, welche die guten Beziehungen in wirtschaftlicher, politischer und militärischer Hinsicht selbst zu verbrecherischen Staaten zu Lasten der gedemütigten Bevölkerung in den Vordergrund stellt.

2. Selbstbestimmungsrecht der Völker und Widerstandsrecht gegen verbrecherische Staaten
In seinem berühmten Aufruf vom 1. Januar 1942 forderte der Dichter Abba Kovner: »Laßt uns nicht wie die Schafe zur Schlachtbank gehen!« Er wurde einer der Anführer der Partisanen von Wilna und überlebte den Krieg; noch bekannter als er aber wurde sein Zitat, das viele Menschen, und insbesondere die Täter, falsch interpretierten als Kritik an jenen Opfern, die sich nicht zur Wehr gesetzt hatten. Und in diesem Sinne wird die Aussage  leider auch heute noch häufig gebraucht. Was aber, wenn sich Menschen, Gruppen oder Völker gegen verbrecherische Regime zur Wehr setzen? Welche Institutionen besitzen das Recht und die Definitionsmacht zu bestimmen, wann Widerstand, und zwar auch bewaffneter Widerstand als letztes Mittel der legitimen Wahrnehmung des Rechts, gegen seine Vernichtung zu kämpfen, ehrenwert ist und wann nicht? (1) Muss eine Bevölkerung erst vernichtet werden, um posthum ihre Widerstandskämpfer zu ehren? Was, wenn die Weltgemeinschaft tatenlos bei der Vernichtung von Menschen und Völkern zusieht oder lediglich in hilflose Appelle verfällt, wie nicht selten auch in der jüngeren Geschichte geschehen?

a) Im Völkerrecht wurde die Doktrin des unantastbaren souveränen Staates mit eigenem Hoheitsgebiet, welcher sich lediglich durch eigene Zustimmung und Ratifizierung entsprechender internationaler Abkommen einer von außen erfolgenden Kontrolle der seinen Staatsbürgern gegenüber erfolgenden Herrschaftsakte unterwirft, auch als Mittel von Herrschaftssicherung zunächst Europas in den Kolonien und sodann im Rahmen der Vereinten Nationen als Mittel der Herrschaftssicherung eines nationalen Staatsgebildes gegen die eignen Untertanen festgelegt. (2)
In Folge der Befreiungskämpfe gegen den Kolonialismus und im weiteren historischen Verlauf der willkürlichen Grenzziehungen und Schaffung künstlicher souveräner Staaten durch Siegermächte nach Kriegen, welche die Siedlungsgebiete und Interessen der dort lebenden Gruppen und Völker vollständig unberücksichtigt ließen, kam es weltweit zu zahlreichen innerstaatlichen Konflikten, z.T. genozidären Ausmaßes, während derer die Völkergemeinschaft meist tatenlos zusah und die Betroffenen schutzlos der (Teil–)Vernichtung preisgab. Eines der betroffenen Völker ist dasjenige der Kurden. Das Siedlungsgebiet der Kurden wurde nach dem ersten Weltkrieg 1923 durch die Siegermächte im »Friedensvertrag von Lausanne« auf vier Länder aufgeteilt und vertragliche Schutzgarantien wurden lediglich für religiöse Minderheiten festgelegt. (3) Die in der Folge insbesondere auch durch den neu gegründeten Staat der Republik Türkei betriebene Assimilierungs– und Verleugnungspolitik gegenüber dem kurdischen Volk wird durch renommierte Völkerrechtler als »genozidäres Massaker« beschrieben. Verbrechen und massive Menschenrechtsverletzungen gegen große Teile der kurdischen Bevölkerung unter permanenter Verletzung internationaler Abkommen bis in die jüngste Zeit, zumindest zeitweise mit dem Ziel der Vernichtung der kurdischen Bevölkerung oder großer Teile derselben, wurden durch die Völkergemeinschaft nicht nur nicht unterbunden, sondern stillschweigend geduldet. (4) Insbesondere die Bundesrepublik Deutschland, als nach den USA und Russland drittgrößter Rüstungsexporteur, profitierte dabei erheblich von bewaffneten Konflikten in Krisengebieten und tat sich seit jeher mit Waffenlieferungen an die Türkei hervor, trotz des Wissens um ihren Einsatz auch gegen die zivile kurdische Bevölkerung. (5) Es ist heute unstrittig, dass schwere Menschenrechtsverletzungen keine inneren Angelegenheiten  souveräner Staaten mehr sind. Zudem ist eines der im Völkerrecht anerkannten Prinzipien dasjenige der gewohnheitsrechtlichen Geltung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker (6) und des Widerstandsrechtes gegen verbrecherische Staaten. Nach dem Aggressionsverbot ist das Selbstbestimmungsrecht die Norm des Völkerrechts, die am häufigsten als eine Jus–Cogens–Norm genannt wird. Bei massenhaften und groben Verletzungen grundlegender Menschenrechte durch einen Staat wird im Völkerrecht ausnahmsweise selbst ein Sezessionsrecht der Völker auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts angenommen. Die Geschichte der Menschheit ist seit dem Altertum gekennzeichnet von Diskussionen um die Idee einer »gerechten Herrschaft« und eines Widerstandsrechts der »Untertanen« bei Überschreitung der Grenzen von Herrschaft und Akten von Willkür. Die Theorie und Geschichte des Widerstandsrechts sind seit ihren Anfängen geprägt von Unklarheiten und Widersprüchen, die bis heute nicht gelöst sind und wohl auch prinzipiell unlösbar bleiben.(7) Schon im Grundgesetz, Art. 20 Abs. 4 GG, zeigt sich das Dilemma: Relevanz gewinnt das normierte Widerstandsrecht nur, wenn der Widerstand erfolgreich war und somit als Rechtfertigung für die rechtliche Beurteilung des Widerstandshandelns dienen kann. Das heißt jedoch übertragen auf die weltweite Situation, dass gerechtfertigte Freiheitskämpfer nur diejenigen sein können, welche erfolgreich kämpfen  (so zum Beispiel Nelson Mandela oder auch Yassir Arafat). Diese Herangehensweise entspricht der Sorge der existierenden Staaten, eines Tages einem heute als »Terroristen« geltenden Kämpfer morgen womöglich als Staatspräsidenten entgegentreten zu müssen. Der rechtfertigende Erfolg ist als Kriterium der Unterscheidung jedoch ein völlig untaugliches und illegitimes Mittel, da es dazu führen würde, die rechtliche Qualifikation von Widerstandshandeln der jeweilig erfolgreichen oder erfolglosen Vernichtung einer Bewegung preiszugeben. Historisch sind jedoch z.B. der jüdische und der armenische Widerstand unbestritten legitim und ehrenhaft gewesen.

b) Bezogen auf die PKK heißt das folgendes:
Die PKK hat ihren bewaffneten Kampf 1984 begonnen, zu einem Zeitpunkt als das kurdische Volk in der Türkei mit groben und massenhaften Menschenrechtsverletzungen überzogen wurde und in seinem Kern vernichtet werden sollte, daher die Begriffsbelegung »genozidäres Massaker«.(8) Nach dem Militärputsch 1980 hat diese Partei gezwungenermaßen im Untergrund operiert, da die Gewährung legaler politischer Oppositionsarbeit und die Inanspruchnahme von Rechtsmitteln gegen die Willkürakte des türkischen Militärs und der nationalistisch türkischen Politik auch nicht ansatzweise vorhanden waren. (9) In der Folge wurde eine bewaffnete Abteilung – die Volksbefreiungsarmee – gegründet, welche insbesondere in militärische Auseinandersetzung mit der türkischen Armee trat. Dieser Kampf war von dem Gedanken und dem Ziel getragen, das kurdische Volk gegenüber Übergriffen türkischen Militärs zu schützen und dem Volk zu seiner legitimen Anerkennung als Kurden zu verhelfen. Vor dem Hintergrund der völlig rechtlosen Situation und Verleugnung des kurdischen Volkes war eines der Ziele, die Gründung eines kurdischen Staates, wie er noch im Vertrag von Sevres vom 10.08.1920  (10) vorgesehenen war und erst nach Intervention durch die Türkei sodann aus diplomatischer Rücksichtnahme aufgegebenen wurde.
Fast jede kurdische Familie in der Türkei kann heute über Angehörige bei der Guerilla der PKK oder Verwandte, Kinder, Geschwister, Eltern oder Eheleute berichten, die wegen Unterstützung der PKK in Haft waren oder verschwunden sind, durch türkische Sicherheitskräfte heimlich getötet oder auf den Polizei– und Gendarmeriewachen gefoltert oder verstümmelt wurden. Unabhängig von allen denkbaren und notwendigen Kritiken ist es daher absolut unmöglich, den Großteil des nicht assimilierten kurdischen Volkes in der Türkei oder in der Diaspora von der Existenz der PKK zu trennen. Die Einordnung als kriminelle Terrorgruppe – welche man nach westlichem Denkmuster durch geeignete staatliche Maßnahmen vernichten oder im Zaum halten kann – ist daher völlig realitätsfremd. Das zeigt auch die jahrzehntelange Vernichtungspolitik der Türkei:
Das Ergebnis ist, dass sich immer mehr Menschen dem Widerstand in den Bergen anschlossen und Hunderttausende die vor kurzem freiwillig in die Türkei zurückgekehrte Gruppe von Guerillakämpfern der PKK als ihre Kinder und als »Helden« der Befreiung feierten. (11) Es ist absurd,  den überwiegenden Teil eines Volkes als »Terroristen« abstempeln zu wollen. Aber auch völkerrechtlich ist diese Einordnung mit dem Begriff Terrorismus nicht vereinbar. Die PKK ist – egal was man von ihr halten mag – eine Volksbewegung und kann daher nicht mit den herkömmlichen, westlich dominierten Vorstellungen definiert werden. Die bewaffneten Einheiten jedenfalls befinden sich ganz überwiegend in einem militärischen Auseinandersetzung mit ebenfalls uniformierten, militärischen staatlichen Kräften, was sich nicht als »Terrorismus« definieren lässt. Dies sagt zugleich nichts darüber aus, wie rechtlich und ethisch inakzeptable Methoden der PKK wie z.B. die Ermordung Andersdenkender aus den eigenen Reihen oder vereinzelte tödliche und wahllose Übergriffe gegen wehrlose Zivilisten zu beurteilen sind.

3. Terrorismus – Terrorlisten der EU
Es fehlt an einer völkerrechtlich universellen Definition des »Terrorismus«, auf den sich die Völkergemeinschaft zu verständigen hätte. Die Streitpunkte beziehen sich auf die auch von der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommenen Frage nach der Unterscheidung zwischen »terroristischen Akten« und »legitimen gewaltsamen Handlungen in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und/oder des Widerstandsrechts gegen verbrecherische Staaten sowie auf die Frage, ob auch staatliche Streitkräfte »terroristische« Akte begehen können oder diese per se bei allen ihren Handlungen – und seien sie auch noch so sehr gegen Zivilisten gerichtet – legitimiert und damit rechtmäßig handeln. Wie bereits das VG Chemnitz in seiner Entscheidung vom 26.05.2008 – A 2 K 386/06 – (nicht veröffentlicht, noch nicht rechtskräftig) richtigerweise ausführt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die PKK völkerrechtlich verbindlich als »terroristisch« einzustufen ist, solange die dargestellten unterschiedlichen Auffassungen der verschiedenen Staatengruppen fortbestehen. Allein Flugzeugentführungen, Geiselnahmen und Sprengstoffdelikte gegen die Zivilbevölkerung werden überwiegend einheitlich als »terroristische« Methoden angesehen, hierüber hinaus ist keine völkerrechtlich anerkannte Einordnung möglich. (12) Insbesondere die EU–Terrorliste ist in keiner Weise geeignet, Auskunft über die Einordnung einer Organisation (oder Person) als »terroristisch« zu geben: Die so genannten EU–und VN–Terrorlisten werden auf »Zuruf« einzelner Staaten und/ oder Staatengruppen je nach politischer oder diplomatischer Befindlichkeit gefertigt, wobei meistens die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den jeweiligen Regierungen der Herkunftsländer der betroffenen Organisationen eine erhebliche Rolle spielen (z.B. Türkei als viel gerühmter Wirtschafts– und Nato–Partner). In allen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes die EU–Terrorliste betreffend wurde betont, dass diese Listen unter völliger Missachtung rechtsstaatlicher Mindeststandards zu Stande kommen und damit willkürlich sind. (13) Eine Praxis der EU–Staaten, welche nach Urteilen des EuGH gegen grundsätzliche Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verstößt, kann unmöglich Grundlage für eine derart weitreichende Entscheidung sein, wie sie vom BVerwG angestrebt wird: nämlich die Einstufung von Unterstützern der Ziele einer auf dieser Liste befindlichen Organisation als »asylunwürdigen Terroristen«.

Dies ergibt sich zudem aus folgenden Überlegungen: Der Rechtsweg gegen die Entscheidung des EU–Ministerrates, einen Namen auf die EU–Terrorliste zu setzen, dauert manchmal Jahre und kann mit der Streichung enden: Wäre die Liste für die Anwendung von § 3 Abs. 2 AsylVfG in Asylverfahren entscheidend, wäre diese Einstufung insofern nichts anderes als willkürlich, als die Aufführung einer Organisation von der Zeit der Antragstellung und der Schnelligkeit des Rechtsweges gegen die Einstufung abhängt. Der Fall der Volksmudschahedin zeigt zudem, dass die Organisation bereits lange Jahre nicht mehr in Erscheinung getreten war und trotzdem auf der Liste verblieb. Wäre die Liste ein Indikator, wie vom BVerwG, BMI und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gewünscht, müssten selbst Menschen als »asylunwürdig« eingestuft werden, welche zu einer Zeit in die Organisation eintreten, zu der diese bereits nicht mehr aktiv war. Die Liste ist somit keine Entscheidungshilfe.

4. Theorie der »zweigesichtigen« Organisation?

Massenorganisationen wie die PKK beginnen ihren Kampf meist in legitimer Weise und mit anerkennenswerten Zielen gegen ein Unrechtsregime. Der Kampf einer uniformierten Armee, der Guerilla, gegen eine andere uniformierte und bewaffnete Armee, dem staatlichen Militär, unterscheidet sich grundlegend von »terroristischen Methoden«. Befreiungsbewegungen verfallen aber im Laufe der Zeit nicht selten auch darauf zu Mitteln zu greifen, die ihren legitimen Kampf von der Methodik her zunehmend kritikwürdig machen: Eliminierung Andersdenkender aus den eigenen Reihen und Übergriffe gegen unbewaffnete Zivilisten gehören hierzu. Häufig geht eine solche Entwicklung einher mit der Leugnung dieser Methoden gegenüber der eignen Bevölkerung und mit dem absoluten Tabu, hierüber in den eignen Reihen zu sprechen. Wie die Methodik selber bereits indiziert, ist es fast unmöglich, derartige Handlungen innerhalb der Guerilla zu benennen und zu kritisieren, ohne selber in Lebensgefahr zu geraten. Hinzu kommt, dass es bei dem überwiegenden Teil der zivilen kurdischen Bevölkerung völlig unmöglich erscheint, wie oben dargelegt, das Ansehen ihrer Angehörigen und also der Freiheitskämpfer zu beflecken. Die Angst vor dem Vorwurf, Verräter an der eigenen Sache zu sein, Angst vor dem Ausstoß und Furcht vor weiterer Repression führen zu einem relativen Stillschweigen über diese Methoden. Hinzu kommt, dass keine reale Alternative für eine Politik im Sinne der kurdischen Sache existiert und in Anbetracht der extremen Opfer, welche durch die kurdische Bevölkerung erbracht wurden, verständlicherweise niemand als untätig dastehen möchte. Innerhalb der Guerilla selber wird versucht, diese Methoden geheim zu halten und es existieren strenge Hierarchien von Personen, die dieser Art Befehle von oben nach unten erteilen sowie Menschen, die sie ausführen. Andere sind nicht eingeweiht. Überwiegend stand und steht jedoch der Kampf gegen die bewaffneten Einheiten der Türkei im Vordergrund der PKK. Eine solche Organisation kann daher ohne Verdrängung der historischen Tatsachen nicht mit Gruppen auf eine Stufe gestellt werden, welche überwiegend zu Mitteln wie Selbstmordattentaten gegen zivile Ziele und ähnlichen Methoden greifen. Dies würde dem Charakter der PKK als Befreiungsorganisation nicht gerecht werden. Die scharf zu kritisierenden Methoden der PKK bei Angriffen, welche Zivilisten in Mitleidenschaft ziehen und die Tötung eigener Genossinnen und Genossen aufgrund abweichender Meinung sind als Straftaten der jeweils verantwortlichen Befehlsinhaber und der ausführenden Akteure zu beurteilen, für die diese allein strafrechtlich verantwortlich sind. Diese Methoden machen die Gesamtorganisation jedoch nicht zu einer »terroristischen« Organisation i.S.d. Völkerrechts. Man könnte daher den Begriff der »zwei– oder mehrgesichtigen Organisation« in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht vom »zwei– oder mehrgesichtigen Staat« (14) entwickeln. In Anbetracht dieser Realität stellt sich die Frage der Verantwortung des Einzelnen für alle Handlungen und Vorgehensweisen des Gesamtgebildes.

5. Verantwortung für fremdes Handeln innerhalb einer Organisation?
Die Verantwortung für alle Taten einer verbrecherischen Organisation, auch dann, wenn eine persönliche Teilnahme an konkreten Verbrechen nicht bestand, wurde nach dem deutschen Faschismus das erste Mal in Art. 9 – 11 des Londoner Statuts (Statut des Internationalen Militärtribunals – Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse) aufgestellt. Hier war Ausgangspunkt jedoch eine von ihren Zielen her ausschließlich verbrecherische Organisation, die nur darauf angelegt war Verbrechen i.S. d. Statuts, nämlich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Nach den Nürnberger Prinzipien ist zudem jede Person, die ein völkerrechtliches Verbrechen begeht, hierfür verantwortlich. Handeln auf höheren Befehl befreit nicht von der völkerrechtlichen Verantwortung. Verbrechen völkerrechtlicher Natur sind: Angriffskrieg, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Folgerichtig sollten im Flüchtlingsrecht Personen, welche in eine dieser drei Kategorien von völkerrechtlichen Verbrechen oder in eine schwere nicht politische Straftat vergleichbarer Größenordnung, insbesondere eine grausame Handlung, als Täter oder Teilnehmer verwickelt waren, keinen Schutz als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten. Teilnahme oder, wie das Gesetz ausdrücklich formuliert, Beteiligung, setzt eine vorsätzliche Handlung voraus, welche die konkrete Tat des Haupttäters ursächlich erleichtert oder fördert. Das Handeln setzt somit eigene Kenntnis, eignen konkreten Beitrag zur konkreten Tat und/oder zumindest die reale Möglichkeit ihrer Verhinderung voraus. Hier zeigt sich bereits klar, dass die uferlose Anwendung der Ausschlussparagraphen, wie sie durch das BVerwG über das Konstrukt der Organisationszusammenhanges herbeigeführt werden soll, mit der Intention des Gesetzes nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.

Für die PKK habe ich versucht aufzuzeigen, dass die Hauptzielsetzung der bewaffneten Kräfte der PKK im Kampf gegen militärische Einheiten der Türkei zur Durchsetzung der Normen des Völkerrechts auch für das kurdische Volk besteht, also im Grunde das Gegenteil der gesetzlich angeführten völkerrechtlichen Verbrechen. Handlungen innerhalb der PKK, welche hiervon abweichen und schlicht kriminelles Unrecht darstellen, sind nur von denjenigen zu verantworten, welche sie befohlen, durchgeführt oder trotz realer Möglichkeiten nicht verhindert haben. Um die Verantwortung für die Handlungen anderer aufgebürdet zu erhalten, bedarf es zudem rechtlich aber auch ethisch einiger Vorbedingungen: Es bedarf der sichern Kenntnis der entsprechenden Handlungen, es bedarf des Weiteren der realen Möglichkeit des Verhinderns derselben und/oder der realen Möglichkeit des sich Entziehens.

Solange dem kurdischen Volk keine reale Perspektive der Anerkennung seiner legitimen Rechte als eigenständiges, aber über Jahrzehnte geleugnetes Volk zuerkannt wird, wird eine Aufarbeitung der Verbrechen innerhalb der PKK unmöglich sein. Daran wird auch eine westlich dominierte und völkerrechtlich inakzeptable Herrschaftssicht nichts ändern, welche den überwiegenden Teil der kurdischen Bevölkerung kurzerhand zu Terroristen erklärt.

6. Ergebnis
Für eine Anwendung der Ausschlussnormen der Genfer Flüchtlingskonvention, der Qualifikationsrichtline und des § 3 Abs. 2 AsylVfG ist es zunächst erforderlich, konkret erfolgte Taten i.S.d. Vorschriften nachzuweisen, d.h., ein zeitlich und örtlich benennbares völkerrechtliches Verbrechen (Angriffskrieg, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder gegen Prinzipien der Vereinten Nationen) oder ein anderes konkretes Verbrechen vergleichbaren Gewichts darzulegen. Die betreffende Person muss selber konkret Befehlsgeber, Organisator, Täter oder direkter Teilnehmer mit eigenem realen Beitrag an dieser konkreten Tat sein. Die Eingebundenheit in Organisationen kann nur dann zum Ausschluss führen, wenn diese Organisation die Begehung völkerrechtlicher Verbrechen oder die Begehung von Taten ähnlichen Gewichts i.S.d. Londoner Statuts zu ihrem eigentlichen Ziel hat, so dass sich international darauf verständigt wird, dass diese Organisation eine ausschließlich verbrecherische ist (wie z.B. bezüglich der SS oder der SA des deutschen Faschismus durch die Alliierten geschehen), (15) und die eingebundene Person konkret in der Lage ist, diese Verbrechen zu verhindern oder sich ihnen zu entziehen. Die Ausschlussgründe sollten aus der »Terrorismushysterie« zurückgeholt und die eigentlichen Beweggründe ihrer Etablierung in völkerrechtlichen Verträgen und Gesetzen wieder in den Vordergrund gerückt werden: Kriegsverbrecher, Täter von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Täter von Verbrechen vergleichbaren Gewichts sollen nirgends auf der Welt Schutz vor Zugriff finden können. Jutta Hermanns, Rechtsanwältin (Berlin)   Fußnoten:

1 Siehe auch: Roth/ Ladwig, Recht auf Widerstand? Ideengeschichtliche und philosophische Perspektiven, Hrsg. Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam, S. 29 f, S. 79.

2 Antony Anghie, Die Evolution des Völkerrechts: koloniale und postkoloniale Realitäten in: Kritische Justiz,  Heft 1, 2009, S. 49 ff.

3 Die deutsche Türkeipolitik und ihre Auswirkungen auf Kurdistan, Quellentexte von 1837 bis 1996, GNN Verlag 1997, S. 251.

4 Yves Teron, Der verbrecherische Staat,  Völkermord im 20. Jahrhundert, 1996, S. 288 ff; Celalettin Kartal, er Rechtsstatus der Kurden im Osmanischen Recuh und in der modernen Türkei, Verlag Dr. Kovac 2002, S. 180 ff.

5 Statt vieler: FR vom 18.12.08, FR–Online: »Deutsche Waffenexporte: Panzer an die Türkei«.

6 Hans–Joachim Heintze, Selbstbestimmungsrecht und Minderheitenrechte im Völkerrecht, Nomos Verlag 1993, S. 22 m.w.N.

7 Siehe Abhandlung von Klaus Roth, Geschichte des Widerstandsgedankens in: Roth/ Ladwig, Recht auf Widerstand?, a.a.O.

8 Yves Ternon, a.a.O.

9 Statt vieler: amnesty international: Türkei – die verweigerten Menschenrechte, 1988.

10 Die deutsche Türkeipolitik (Fn 3), S. 247: « Art. 62 – 64 ...Eine Kommission der britischen, französischen und italienischen Regierung wird innerhalb von 6 Monaten die Autonomie für die vorwiegend von Kurden bewohnten Gebiete vorbereiten. Wenn die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung die Unabhängigkeit wünscht und der Völkerbund zustimmt, ist die Türkei verpflichtet, auf alle Rechte in diesen Gebieten zu verzichten...«.

11 Der Standard, 21.10.2009 : Konvoi erreicht Diyarbakir, Diyarbakir – Im Südosten der Türkei haben zehntausende Menschen die Rückkehr von acht Rebellen der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) aus dem Irak gefeiert. In Diyarbakir, der größten Stadt des Kurdengebiets, gingen am Mittwoch rund 100.000 Menschen auf die Straße, um die am Dienstag freigelassenen PKK–Kämpfer mit einem Feuerwerk, Gesängen und Sprechchören zu begrüßen.

12 Zu den daraus allgemein resultierenden Problemen: Internationale Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, Deutsches Institut für Menschenrechte, August 2005. (PDF–Datei; 789 kB).

13 EuGH, Urt .v. 30.09.09 – T–341/07 – ( Jose Maria Sison); EuGH, U.v. 18.01.07, – C–229/05 – (PKK und Osman Öcalan); EuGH, U.v. 12.12.06, – T–228/02 – (Volksmudschahedin Iran), alle: http://curia.europa.eu

14 BVerfG, Beschluss v. 10.07.1989, InfAuslR 1990 S. 21 ff

15 Patrick Glöckner: Der Nürnberger Prozess – Versuch einer juristischen Annäherung