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Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB)

RAV-Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, 16.2.22

Beim BMJ eingereichte Stellungnahme des RAV zum „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB)“

Verfasser: Dr. Björn Elberling, Rechtsanwalt
- für den gesamten Vorstand des RAV -


1. Die Regierungsfraktionen planen, § 219a StGB, der die sogenannte „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, ersatzlos zu streichen. Der RAV begrüßt diesen Schritt ausdrücklich und vorbehaltlos.

Wir haben bereits am 30.11.2017 aus Anlass der erstinstanzlichen Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel in einem gemeinsamen Appell mit der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen und der Internationalen Liga für Menschenrechte darauf hingewiesen, dass § 219a StGB von Abtreibungsgegner*innen, die sich selbst gern als „Lebensschützer“ bezeichnen, missbraucht wird, um Ärzt*innen durch Anzeigenerstattung einzuschüchtern und zu kriminalisieren und um auf diesem Weg legale Abtreibungen zu be- oder verhindern:
Mit diesen Strafverfahren wird vollkommen ignoriert, dass Patient*innen einen Anspruch darauf haben, über das Leistungsspektrum von Ärzt*innen informiert zu werden, damit sie darauf gegründet von ihrem Recht auf freie Wahl der Ärztin/des Arztes nach § 76 SGB V überhaupt sinnvoll Gebrauch machen können. Die immer weiter fortschreitende Spezialisierung der Ärzt*innen und die Entwicklung der Medizin können Patient*innen nur überschauen, wenn die Ärzt*innen ihnen die erforderlichen Informationen selbst zugänglich machen. Schon 2002 hat das Bundesverfassungsgericht deshalb festgestellt: „Durch wahrheitsgemäße Angaben werden die Patient*innen bei der Suche nach fachlich kompetenten und für sie besonders geeigneten Ärzt*innen unterstützt.“ Die Unterzeichner*innen dieses Aufrufs fordern daher, § 219a StGB komplett zu streichen und die Strafverfahren gegen die betroffenen Ärzt*innen durch die Staatsanwaltschaft einzustellen.“(1)

Dass das Gesetz vom 22.03.2019, mit dem § 219 Abs. 4 StGB eingeführt wurde, an dem grundlegenden Problem nichts änderte, zeigte sich etwa in der strafrechtlichen Verurteilung von zwei Ärztinnen, die es „gewagt“ hatten mitzuteilen, dass Schwangerschaftsabbrüche in ihrer Praxis mittels der medikamentösen Methode und „in geschützter Atmosphäre“ durchgeführt werden (KG Berlin, NStZ 2020, 550).
Das Vorhaben der Koalitionsfraktionen, § 219a StGB nunmehr endlich ersatzlos zu streichen, kann daher nur die ausdrückliche Zustimmung des RAV erhalten.

2. Die Aufhebung dieses massiven Eingriffs in die Berufsfreiheit von Ärzt*innen, aber vor allem in die Freiheit von Schwangeren, sachliche Informationen zum Thema Schwangerschaftsabbruch zu erhalten, kann aber nur den ersten Schritt bedeuten, wenn es den Koalitionsfraktionen mit ihrem Versprechen, die reproduktive Selbstbestimmung zu stärken, ernst ist. SPD, Bündnis 90/Grüne und FDP selbst haben im Koalitionsvertrag unter der Überschrift „reproduktive Selbstbestimmung“ versprochen:
Wir stärken das Selbstbestimmungsrecht von Frauen. Wir stellen Versorgungssicherheit her. Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. Die Möglichkeit zu kostenfreien Schwangerschaftsabbrüchen gehören zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung. Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen. Wir stellen die flächendeckende Versorgung mit Beratungseinrichtungen sicher. Schwangerschaftskonfliktberatung wird auch künftig online möglich sein“(2)

Realität ist, dass Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, weiterhin in erheblichem Umfang Diffamierungen und Anfeindungen durch Abtreibungsgegner*innen ausgesetzt sind, wie ja im Übrigen auch in der Begründung des Gesetzesentwurfes festgestellt wird.

Realität ist, dass Schwangere, die medizinische Beratung und Behandlung in Anspruch nehmen wollen, durch Gehsteigbelästigungen und „Mahnwachen“ vor Arztpraxen massiv eingeschüchtert und in ihrer Würde angegriffen werden.

Realität ist, dass die Kosten für einen Schwangerschaftsabbruch nach der sog. Beratungsindikation grundsätzlich nicht von den Krankenkassen übernommen werden, was für Schwangere eine ganz erhebliche Belastung darstellt.

Realität ist auch, dass die Versorgungslage in großen Teilen des Landes prekär ist – weil Ärzt*innen u.a. aus Angst vor Anfeindungen keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Weil andere ihren Patient*innen die Durchführung von Abbrüchen – mit anderen Worten: eine bestimmte ärztliche Behandlung – unter Berufung aus Gewissensgründen verweigern. Weil die Durchführung von Abbrüchen weder in der medizinischen Ausbildung noch in der Fortbildung für Gynäkolog*innen Teil des Pflichtstoffs ist. Realität ist daher, dass Schwangere in manchen Regionen Tagesreisen unternehmen müssen, um eine Praxis zu finden, die Abbrüche durchführt.

Nicht all diese Punkte sind allein durch Bundesgesetzgebung zu lösen. Aber die Regierungsfraktionen werden sich an ihrem Versprechen einer Stärkung der reproduktiven Selbstbestimmung messen lassen müssen und werden daher auch zu all diesen Themen entsprechende Gesetzesentwürfe vorlegen müssen.

3. Realität ist auch, dass Schwangerschaftsabbrüche weiterhin massiv stigmatisiert und tabuisiert sind, dass sowohl Schwangere, die diese ärztliche Leistung in Anspruch nehmen, als auch Ärzt*innen, die sie anbieten, massiven moralisierenden Vorbehalten und Vorhaltungen ausgesetzt sind.

Es liegt auf der Hand, dass ein wesentlicher Grund hierfür die Regelung zum Schwangerschaftsabbruch selbst ist. Nicht nur, dass Deutschland inhaltlich eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas hat: Wenn das Strafgesetzbuch Schwangerschaftsabbrüche im selben Abschnitt wie Mord und Totschlag regelt, wenn es in einer auch für Jurist*innen kaum verständlichen Regelungstechnik Abbrüche unter bestimmten Voraussetzungen als rechtswidrig, aber nicht tatbestandsmäßig, als rechtswidrig, aber nicht strafbar einstuft, dann führt dies zu einer massiven Abschreckung von Ärzt*innen davor, Abbrüche durchzuführen, zu einer Stigmatisierung von ungewollt Schwangeren und in vielen Fällen zu massiven psychischen Belastungen für diese. Was mit einer grundgesetzlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben begründet wird, bedeutet in der Praxis vor allem einen massiven Eingriff in die Selbstbestimmung und in die psychische und physische Gesundheit von ungewollt Schwangeren.

Den Geist dieser Regelungen atmet auch der vorliegende Entwurf, wenn sich dieser gegen gedachte Vorwürfe, damit etwa die „demonstrative Auszeichnung“ der Durchführung von Abbrüchen zu ermöglicht, verteidigt und ausführt, diese seien doch weiterhin strafbar (S. 7 des Entwurfes). Gerade die Rhetorik, mit der der Entwurf sich gegen Vorwürfe verteidigt, den Schutz des ungeborenen Lebens zu vernachlässigen, zeigt, dass der Kern des Problems in der Norm des § 218 StGB liegt.

Wir schließen uns daher ausdrücklich der Forderung an, die etwa von den Doctors for Choice in ihrer Stellungnahme vom 18.01.20223 zum vorliegenden Gesetzesentwurf erhoben wurde: Der Schwangerschaftsabbruch ist kein Thema für das Strafgesetzbuch, sondern für das ärztliche Berufsrecht und die Regeln der ärztlichen Kunst. Das Versprechen der Stärkung reproduktiver Selbstbestimmung kann nur wirklich umgesetzt werden, wenn der Schwangerschaftsabbruch gesetzlich nicht als Straftat, sondern als Gesundheitsleistung angesehen und geregelt wird. Hier anzusetzen und den § 218 StGB abzuschaffen, ist die Forderung an die Regierungsfraktionen, wenn es ihnen mit ihrem Versprechen der Förderung reproduktiver Selbstbestimmung ernst ist.


(1)  Appell von Juristinnen und Juristen - Für die Streichung des § 219a StGB – Für das Recht von Frauen, über legale Abtreibungsangebote von Ärzt*innen informiert zu werden, 30.11.2017, https://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/fuer-die-streichung-des-219a-stgb-fuer-das-recht-von-frauen-ueber-legale-abtreibungsangebote-von-aerzt-innen-informiert-zu-werden-525
(2) Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, S. 116, https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
(3) Endlich soll §219a StGB gestrichen werden! – Stellungnahme zum Gesetzesentwurfs des Bundesjustizministeriums zur Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§219a StGB), 18.01.2022, https://doctorsforchoice.de/2022/01/stellungnahme-gesetzentwurf-219a/

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