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Für eine effektive Kontrolle der Polizei

1. Rechtswidrige Gewaltanwendung durch Polizeibeamte ist keine Ausnahmeerscheinung, sondern ein alltägliches Phänomen. Als solches ist sie nicht nur beim Einsatz geschlossener Einheiten zu beobachten, sondern auch bei der Schutzpolizei, wo sie nicht selten einen rassistischen Hintergrund hat. Den jährlich mehr als 1.600 Strafanzeigen steht ein mutmaßlich sehr großes Dunkelfeld gegenüber. Betroffene verzichten angesichts der damit verbundenen Belastung, der Gefahr von Gegenanzeigen sowie wegen der überaus geringen Erfolgsaussichten zumeist auf eine Strafanzeige. Oft raten RechtsanwältInnen ihren MandantInnen aus diesen Gründen von der Anzeigenerstattung ab. Besonders betroffen von polizeilichen Übergriffen sind bspw. MigrantInnen, Fußballfans oder AktivistInnen der außerparlamentarischen Opposition.

2. Polizeigewalt ist ein strukturelles Problem. Die Polizei ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen berechtigt, Gewalt in Form unmittelbaren Zwangs einzusetzen. Dass es hierbei zu Grenzüberschreitungen kommen kann, ist aus strukturellen und psychologischen Gründen polizeilicher Alltag. Wird diese Problematik negiert und der Polizei stets und schon präventiv eine weiße Weste bescheinigt, entsteht ein Klima, das Grenzüberschreitungen befördert. Insbesondere bei den geschlossenen Einheiten der Bereitschaftspolizei, die zur Aufstandsbekämpfung ausgebildet werden, sind solche Grenzüberschreitungen auch Einsatzmittel und in gewissem Maße politisch erwünscht. Insgesamt entsteht so eine Polizeikultur, in der die einmal gelernten rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen von intern geltenden Normen überlagert werden, die missbräuchliche Gewaltanwendung gestatten.

3. Die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols muss kontrolliert werden. Der Polizei wurde durch die Übertragung des Gewaltmonopols und ihrer Stellung in der Exekutive eine machtvolle Position übertragen. Die Ausfüllung dieser Position bedarf im demokratischen Rechtsstaat einer strengen und wirksamen Kontrolle. Findet diese nicht statt, werden die Betroffenen gegenüber einem Missbrauch des Gewaltmonopols rechtlos gestellt. Sie stehen einem Apparat gegenüber, der mit umfangreichen Eingriffsbefugnissen ausgestattet und in der Lage ist, die Ahndung solcher Übergriffe zu verhindern oder zumindest zu erschweren.

4. Eine strafrechtliche Verfolgung von Polizeigewalt findet kaum statt. Polizeiliche Übergriffe werden nicht nur selten angezeigt. Sie werden auch selten angeklagt - in 95 bis 98 Prozent der Fälle stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. In den Fällen, die das Gericht erreichen, gibt es eine erheblich erhöhte Freispruchquote. Die Gründe hierfür sind vielfältig: schlampig geführte Ermittlungen durch die Polizei, Falschaussagen bzw. eine "Mauer des Schweigens" bei den KollegInnen der Beschuldigten, eine oftmals schwierige Beweislage sowie gesteigerte Anforderungen an diese bei Vorwürfen gegen PolizistInnen, das Zurückschrecken vor einem erhöhten Ermittlungsaufwand, das institutionelle Näheverhältnis von Polizei und Justiz sowie die bei letzterer bestehende Überzeugung, PolizistInnen würden grundsätzlich rechtmäßig handeln.

5. Erste Voraussetzung für eine Veränderung ist die Anerkennung des Problems. Rechtswidrige Gewaltanwendung durch PolizistInnen wird nur abnehmen, wenn sie als strukturelles Problem anerkannt und thematisiert wird. Solange Polizei, Politik und Justiz das Problem als Ausnahmeerscheinung einzelner "schwarzer Schafe" behandeln und sich die rechtlichen Maßstäbe bei der Beurteilung angezeigter Fälle nicht ändern, wird sich weder die entsprechende polizeiliche Subkultur ändern, noch ein stärkeres Problembewusstsein in der Justiz bilden. Letztlich ist eine erhebliche Verringerung polizeilicher Übergriffe nur durch einen Wandel des polizeilichen Selbstverständnisses, von Einsatzformen und Polizeikultur zu erreichen.

6. Wirksame Kontrolle kann nur durch eine unabhängige Instanz erfolgen. Sie erfordert einen polizeikritischen Blick, eine institutionelle Unabhängigkeit von Polizei und Innenverwaltung sowie eine hinreichende Ausstattung mit Befugnissen und Ressourcen. Sie muss für alle Formen des Missbrauchs des staatlichen Gewaltmonopols zuständig sein, aber ihre Arbeit auch darauf beschränken. Eine solche unabhängige Polizeikommission muss von dem Landesparlament eingerichtet und diesem gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Die Mitglieder der Kommission müssen eigene Ermittlungen anstellen, Akten einsehen und Empfehlungen an die Staatsanwaltschaft aber auch die Innenverwaltung für disziplinarische Reaktionen aussprechen können. Den Betroffenen von Polizeigewalt muss ein Einsichtsrecht in die Akten der Kommission zustehen. 7. Eine Kennzeichnungspflicht muss sofort und überall eingeführt werden. Es muss selbstverständlich werden, dass PolizeibeamtInnen den BürgerInnen offen und individualisierbar gegenübertreten. Viele Verfahren wegen Körperverletzung im Amt scheitern oft an der fehlenden Identifizierbarkeit der BeamtInnen und an fehlenden Nicht-PolizeizeugInnen. Eine allgemeine Kennzeichnung kann aber nicht nur zu einer besseren Aufklärung polizeilicher Übergriffe führen, sondern auch erhebliche präventive Wirkung entfalten.

Pressemitteilungen zum Thema

Stellungnahme
Verfasserin: Rechtsanwältin Dr. Anna Luczak, Berlin Stellungnahme des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins e.V. (RAV) im Anhörungsverfahren des Thüringischen Landtags, Drs. 5/1079 vom 03.09.2010: 1. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung in Ihrem Bundesland bereits ergriffen, um die Identifizierbarkeit von handelnden Polizeikräften im Einsatz zu ermöglichen? Nach Kenntnis des RAV als überregionale Organisation gibt es in den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Hamburg, Sachsen und Schleswig-Holstein auf parlamentarischer Ebene Bestrebungen, eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt/innen einzuführen. In vielen Bundesländern ist es bereits jetzt so, dass Polizist/innen freiwillig Namensschilder tragen können. 2. a) Wie stehen Sie der individuellen Identifizierbarkeit…
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Pressemitteilung vom 5.10.2010
3 Jahre nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm bestätigt das Verwaltungsgericht Schwerin in einer Vielzahl anhängig gemachter Klagen, dass die Ingewahrsamnahmen und die Haftbedingungen rechtswidrig waren und  Betroffenen zu Unrecht Telefonate mit Vertrauenspersonen und RechtsanwältInnen verweigert wurden. „ Die Gerichtsurteile bestätigen unsere Rechtsauffassung. Die Ingewahrsamnahmen waren von Beginn an rechtswidrig und die Inhaftierung in ‚Käfigen’ über einen längeren Zeitraum verstößt gegen die Menschenwürde. Das Vorgehen der verantwortlichen Polizeibehörden war in den überwiegenden Fällen willkürlich und wurde ohne jede Tatsachengrundlage sogar noch trotz gegenteiliger Richterentscheidungen fortgesetzt“ kommentiert Rechtsanwältin Britta Eder aus Hamburg. Bereits während des G8-Gipfels…
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Pressemitteilung
Strafverfahren zum 1. Mai 2009 / Berufungsurteil gegen Christan P.
Verurteilung trotz erheblicher Widersprüche Zum heutigen Berufungsurteil gegen Christan P. erklärt die Rechtsanwältin Maren Burkhard, Mitglied im Republikanischen Anwältinnen und Anwälteverein (RAV), die Verteidigung sehe in zentralen Punkten deutliche Hinweise, dass Polizeizeugen sich abgesprochen haben. „Außerdem bestehen massive Widersprüche zwischen den Aussagen der Beamten bezüglich des Tatortes und des Aussehens des Angeklagten“, so die Verteidigerin. Leider habe die Verteidigung nicht feststellen können, dass das Gericht sich mit diesen Problemen auseinandersetzen wollte. Christian P. war vom Landgericht Berlin am 12. Mai 2010 wegen schweren Landfriedensbruchs und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer…
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Veranstaltung, Bonn, 28.04.2010
Um die politische Diskussion zur Landtagswahl 2010 um weitere Aspekte zu bereichern, laden die Humanistische Union, der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sowie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein zu einer Podiumsdiskussion am 28. April 2010, ab 19:30 Uhr ins Haus der Kirche, Adenauerallee 37 (gegenüber Juridicum) in Bonn ein. Denn in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs scheint die Gretchenfrage in der politischen Auseinandersetzung nur diese nach der Wirtschaftspolitik zu sein. Hier soll als Kontrast daher den Bürgerrechten das Wort geredet werden. Während die Humanistische Union mit ihren Fragen insbesondere die geplante Politik der Parteien in Sachen Polizei beleuchten möchte, wird der AK Vorrat der Bürgerrechtspolitik bezüglich der Onlinedurchsuchung in NRW sowie…
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Pressemitteilung
Unter dem Motto Duisburg-stellt-sich-quer gelang es am 27. und 28. März 2010 einem breiten Bündnis aus zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Gruppen die Nazi-Aufmärsche von NPD und Pro-NRW entscheidend zu verkürzen und vorübergehend zu stoppen.
Demonstrationen und Blockaden verliefen friedlich und engagiert. Unbesonnenes Polizeihandeln führte jedoch zu Eskalationen und Eingriffen in Grundrechte. Mehrere Anwältinnen und Anwälte des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) unterstützten die ca. 6.000 Demonstrierenden bei der Wahrnehmung ihrer Versammlungsfreiheit und halfen gegen Polizeirepression.
Insgesamt kam es laut Polizeiberichten zu 143 Gewahrsamsnahmen. Die Polizei leitete 20 Verfahren ein. Die genauen Tatvorwürfe sind noch unbekannt, erfahrungsgemäß wird es…
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Stellungnahme: Gesetzentwurf der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke, Schles. Holst. Landtag
Der RAV begrüßt die Gesetzesinitiative zur Einführung einer Ausweisungs- und Kennzeichnungspflicht für Dienstkräfte der Ordnungsbehörden. Die Erfahrungen der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte des RAV zeigen, dass die bisherige Praxis, wonach Polizei- und Ordnungskräfte sich nicht ausweisen müssen und auch sonst nicht identifizierbar gekennzeichnet sind, die Kontrolle polizeilichen Handelns und die Sanktionierung polizeilicher Übergriffe wesentlich erschwert. Dabei stellen die Mitglieder des RAV fest, dass Personen, die Opfer polizeilicher Übergriffe geworden sind, sich grundsätzlich in einer schwierigen Position befinden. Deren Vorbringen wird zunächst pauschal die Vermutung entgegen gehalten, dass Angehörige der Polizei sich aufgrund ihrer Ausbildung und Funktion gesetzmäßig…
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Veranstaltung, Hamburg, 13.07.2009
Im Jahr 2005 traten mit der Novellierung des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) und des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) zahlreiche neue Regelungen in Kraft. Von der CDU als das „schärfste Polizeigesetz Deutschlands“ gefeiert, erwiesen sich in der Folgezeit bereits zahlreiche Vorschriften (Kfz-Kennzeichenerfassung, Rasterfahndung) als evident verfassungswidrig. Weitere Maßnahmen wie etwa die Einführung sog. verdachtsunabhängiger Kontrollen oder die Videoüberwachung sehen sich fortwährender verfassungsrechtlicher Kritik ausgesetzt. Aktuelle Veröffentlichungen des Senats belegen zudem das Ausmaß polizeilicher Kontrollpraxen in Hamburg. So fanden beispielsweise in den auf Grundlage des SOG polizeilich als „Gefahrengebiet“ deklarierten…
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Veranstaltung, Berlin, 23.11.2007
Das Problem rechtswidriger Gewaltanwendung durch Polizeibeamte ist immer wieder Thema öffentlicher Diskussionen, wie zuletzt im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Dabei werden derartige Vorkommnisse zumeist als Ausnahme behandelt, obwohl es deutliche Hinweise darauf gibt, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt. Als besonders problematisch erweist sich, dass eine effektive, unabhängige Kontrolle und Aufarbeitung polizeilichen Fehlverhaltens kaum erfolgt. Da eine besondere externe Instanz diesbezüglich nicht vorgesehen ist, findet eine Bearbeitung solcher Fälle bislang nur intern v. a. im Rahmen von Disziplinarverfahren sowie durch die Strafverfolgungsbehörden statt. Beide Kontrollinstanzen sehen sich jedoch angesichts ihrer Nähe zu den…
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Pressemitteilung vom 19.06.2007
Bei der Auswertung der Ereignisse während des G8 Gipfels in Heiligendamm, Rostock und Umgebung stellte der Anwaltliche Notdienst des RAV eine Vielzahl dokumentierter polizeilicher Übergriffe fest. Deren Bandbreite reicht von Misshandlungen bei der Festnahme über Tötungsandrohungen bis hin zu sexistischen Äußerungen und Übergriffen durch PolizeibeamtInnen.

Im folgenden nur einige der gravierendsten Beispiele:
Einem Ingewahrsamgenommenen wurde bei der Festnahme ein T-Shirt über den Kopf gezogen und im Nacken verknotet, so daß er nicht mehr sehen konnte. Er wurde gefesselt und mehrmals mit dem Kopf auf den Boden geschlagen.

Eine Vielzahl von Menschen wurde bei der Festnahme geschlagen und verletzt und ohne ärztliche Versorgung in Gewahrsam genommen. Einem Clown wurde grundlos eine ca.…
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Pressemitteilung vom 6.6.2007
Immer mehr GlobalisierungskritikerInnen haben seit Beginn der Proteste gegen den G8-Gipfel Platzverweise durch die Polizei erhalten. Alleine am gestrigen Dienstag, den 5.6.2007, registrierte das Legal Team rund 100 Platzverweise. Anlässe hierfür sind oftmals nichtig: Beispielsweise wenn bei Kontrollen am Hauptbahnhof oder auf einer beliebigen Straße in Rostock bei den kontrollierten Personen Sonnenbrillen, Schals oder Tücher gefunden werden. Die Betroffenen erhalten dann von Polizeibeamten kopierte DIN A4-Formblätter mit der Anschrift der BAO Kavala und der Überschrift Platzverweis sowie einen Stadtplan von Rostock und Umgebung. Auf den Formblättern vermerken die Beamten die persönlichen Daten der Betroffenen sowie das Gebiet, für den der Platzverweis gilt und die Dauer des Platzverweises.…
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