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Keine Schnüffelei in der Anwaltskanzlei - Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz

Zum 1.1.2009 ist das BKA-Gesetz neu gefasst worden. Erstmals wird darin dem Bundeskriminalamt das Recht eingeräumt, zur Abwehr von „Gefahren des internationalen Terrorismus“ präventiv tätig zu werden. Derartige Befugnisse waren bislang einzig den Landespolizeien vorbehalten. Erst eine Grundgesetzänderung im Rahmen der Föderalismusreform 2006 hatte eine Ausweitung der Kompetenzen des BKA ermöglicht.

Mit dem Gesetz erhält das BKA u.a. das Recht, verdächtige Personen zu überwachen, ihre Wohnungen abzuhören, Computer heimlich auszuspähen (sog. online-Durchsuchung), verdeckte Ermittler einzusetzen oder Rasterfahndungen einzuleiten. Maßnahmen nach dem BKA-Gesetz sind darüber hinaus auch gegen sog. „Nichtstörer“ oder „Kontakt- und Begleitpersonen“ möglich.

Mit einer vom RAV organisierten Verfassungsbeschwerde haben die Vorstandsvorsitzende des RAV Andrea Würdinger, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Martin Lemke sowie das langjährige Vorstandsmitglied Wolf Dieter Reinhard am 11. Mai 2009 Verfassungsbeschwerde gegen das BKA-Gesetz erhoben.

Zusammenfassung der wesentlichen verfassungsrechtlichen Beanstandungen:

Vorbemerkung: Die „freie Advokatur“, d. h. die Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit frei von staatlicher Kontrolle, Einschüchterung oder Bevormundung zählt nach wie vor zu den Wesensmerkmalen eines demokratischen Rechtsstaats. Zentraler Bestandteil ist der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen den ratsuchenden, in ihren Rechten bedrohten Mandantinnen und Mandanten und der Rechtsanwältin bzw. dem Rechtsanwalt. Diese elementaren Grundsätze müssen sich gerade auch dann bewähren, wenn die Mandantschaft besonders verletzlich ist, weil sie gesellschaftlich etikettiert oder durch staatliche Maßnahmen in zentralen Freiheitsrechten bedroht wird. Dies gilt etwa für Mandantinnen und Mandanten im Asyl- und Asylwiderrufsverfahren, aber auch für politische Aktivistinnen und Aktivisten oppositioneller Bewegungen. Der RAV tritt dafür ein, dass Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sich uneingeschränkt an der Seite der Betroffenen für die Achtung von Grund- und Menschenrechten einsetzen können. Vor diesem Hintergrund wendet sich der RAV entschieden gegen die durch das BKA-Gesetz (BKA-G) eröffneten Eingriffsmöglichkeiten in die anwaltliche Berufsausübung.
1. Das BKAG öffnet den Raum für vielfältige geheime Ausforschungen bei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. Sie können auf unterschiedliche Weise ins Visier geraten, z. B., wenn die Mandantin oder der Mandant Zielperson ist, und sie als Dritte von Maßnahmen gegen diese Zielperson betroffen werden. Ermittlungsmaßnahmen können sich auch unmittelbar gegen die Rechtsanwältin/den Rechtsanwalt richten: Sie können selbst zur Zielperson werden, wenn Maßnahmen gegen einen „Störer“ nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen. Vor allem aber erfüllt die anwaltliche Tätigkeit typischerweise die Voraussetzungen, um den Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin nach dem BKA-G als Kontakt- und Begleitpersonen zu qualifizieren. Der Maßnahmenkatalog, dem Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ausgesetzt werden können, reicht vom Einsatz verdeckter Ermittler über Telefonüberwachung bis zum Großen Lausch- und Spähangriff. Zum Gegenstand staatlicher Bespitzelung werden dabei Kernbereiche anwaltlicher Berufsausübung. Nicht mehr geschützt ist etwa die Anbahnung und Führung des Mandats oder der Kontakt per Telefon oder Email mit dem Mandanten, seinen Angehörigen und Bezugspersonen. Dem BKA wird ermöglicht, auf die anwaltliche Informationsvermittlung ebenso wie auf die Informationsbeschaffung zur weiteren Aufklärung eines streitgegenständlichen Sachverhalts oder zur Erlangung von Beweismitteln für Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zuzugreifen.
2. Bereits die Möglichkeit, dass verdeckte Maßnahmen getroffen werden können, stört das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant und erschwert gravierend die anwaltliche Beratung und Rechtsvertretung. Das offene Gespräch und die Tätigkeit des Rechtsanwalts müssen zukünftig sowohl von ihm als auch vom Rechtssuchenden mit dem Wissen geführt werden, dass Informationen an die Sicherheitsbehörden gelangen und den Anlass für weitere Maßnahmen geben. Bei laufenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren besteht die Gefahr, dass Informationen und Strategien über die Verfahrensführung an die prozessuale Gegenseite gelangen. Damit wird nicht zuletzt die Rechtsschutzmöglichkeit faktisch beschränkt. Am deutlichsten wird dies, wenn sich ein Betroffener gerade gegen Maßnahmen nach dem BKA-G wenden möchte und im Austausch mit seinem Rechtsbeistand über diese Maßnahmen die verfahrensgegenständlichen Informationen an das BKA gelangen. Ein faires und auf prozessualer Waffengleichheit aufbauendes Verfahren wird dadurch ad absurdum geführt.

3. Der Schutz, den das BKA-G Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten einräumt, ist ungenügend. Die gesetzliche Regelung reflektiert die Problematik nicht hinreichend. Eine Sonderstellung ist nur für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger vorgesehen, beschränkt auf die „in ihrer Eigenschaft als Strafverteidiger erlangten Informationen“. Für alle übrigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte soll eine „Abwägung im Einzelfall“ durch das BKA entscheiden, ob verdeckte Maßnahmen angeordnet und erlangte Informationen verwertet werden dürfen. Es liegt auf der Hand, dass – entgegen der gesetzlichen Regelung – dieser hochsensible Abwägungsprozess nicht durch das BKA vorgenommen werden darf: Das BKA dürfte dann z.B. über die Überwachung entscheiden, wenn Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit gerade die rechtliche Überprüfung von Maßnahmen oder Erkenntnissen des BKA ist. Die im Strafverfahren entwickelte ausschließliche Sonderstellung für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger lässt sich zudem nicht auf das Gefahrenabwehrrecht übertragen.

Es ist von Verfassungs wegen geboten, zumindest dort, wo zentrale Grund- und Freiheitsrechte betroffen sind und Maßnahmen drohen, die in ihrer Eingriffintensität strafrechtlichen Sanktionen gleichkommen, in gleicher Weise sicherzustellen, dass die Betroffenen nicht bloßes Objekt eines staatlichen Eingriffs werden. Beispielsweise ist in allen Verwaltungsverfahren, die eine Abschiebung, Ausweisung oder Auslieferung sowie Freiheitsentziehung oder Beschränkung der Bewegungsfreiheit zum Gegenstand haben, zu garantieren, dass Betroffene sich uneingeschränkten und unüberwachten anwaltlichen Beistands sicher sein können.

4. Mit dem BKA-G setzt der Gesetzgeber wie bereits bei vorangegangenen „Sicherheitsgesetzen“ das „Prinzip der haarscharfen Überschreitung“ verfassungsrechtlicher Vorgaben fort. Der Gesetzgeber ist in jüngster Zeit bei der Ausweitung von Eingriffsbefugnissen immer wieder nicht nur bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen gegangen, sondern hat selbst durch das Bundesverfassungsgericht gezogene Grenzen zu überschreiten und aufzuweichen versucht. Die Legislative weigert sich trotz diverser einschlägiger Verfassungsgerichtsentscheidungen nach wie vor, einen Bereich der absolut geschützten privaten Lebensführung anzuerkennen und zu realisieren. Das BKA-G ist ein weiteres Beispiel. Zwar sind nach dem BKA-G Telefonüberwachungsmaßnahmen unzulässig, wenn Gesprächsinhalte ausschließlich diesem Bereich zuzuordnen sind. Bestehen Zweifel oder enthält ein Gespräch auch nicht kernbereichsrelevante Inhalte, darf die gesamte Kommunikation aufgezeichnet werden. Praktisch führt diese Regelung dazu, dass dem BKA immer gestattet wird, die gesamte Kommunikation aufzuzeichnen, denn es ist ausgeschlossen, dass ein Gespräch ausschließlich auf den Austausch absolut geschützter Inhalte beschränkt werden kann.

5. Schließlich verschleiert das hoch komplizierte und verschachtelte Normenprogramm des BKA-G die massive Ausweitung an Befugnissen für das BKA und verfehlt die Anforderungen, die von Verfassungs wegen an die Bestimmtheit von Eingriffsnormen zu stellen sind. Zentrale Eingangsvoraussetzung für ein Tätigwerden des BKA ist eine „Gefahr des internationalen Terrorismus“. Was darunter zu verstehen ist, ist gänzlich offen. Während der Verfassungsgesetzgeber im Jahr 2006 bei der Einfügung von Art. 73 Nr. 9a GG, der die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bei der „Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus“ durch das BKA regelt, noch ausdrücklich „auf Deutschland begrenzte Phänomene“ ausgenommen wissen wollte, soll nunmehr auch eine „Einbindung in international propagierte Strömungen“ ausreichend sein. Damit ist die Büchse der Pandora geöffnet. Fortan könnte das BKA mit seinen erheblichen personellen und operativen Ressourcen etwa auch gegen die international gut vernetzte Anti-AKW-Bewegung oder globalisierungskritische Strömungen in Stellung gebracht werden.

6. Die unbestimmte Ausweitung der Befugnisse zeigt sich weiterhin auch daran, dass das Gesetz Datenerhebungen durch das BKA nicht nur zur Abwehr von hochrangigen Rechtsgütern wie Leib, Leben oder Freiheit einer Person zulässt, sondern auch bei Gefahren für „Sachen von bedeutendem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist“. Unklar ist dabei nicht nur die Wertbestimmung. Das „öffentliche Erhaltungsinteresse“ wird maßgeblich politisch bestimmt. Je nach Gusto wird darunter die Gefährdung von Feldern mit genmanipulierten Pflanzen ebenso fallen wie ein Stapel Polizeihelme oder Absperranlagen bei Gipfeltreffen.


Pressemitteilungen zum Thema

Pressemitteilung, Berlin 20.4.2016
Am heutigen 20. April 2016 hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das lange erwartete Urteil über zwei Verfassungsbeschwerden gegen das Bundeskriminalamtsgesetz verkündet. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei eine Anzahl von Befugnissen des Bundeskriminalamts bei der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus für verfassungswidrig erklärt. Darunter sind unter anderem Vorschriften, mit denen das Bundeskriminalamt ermächtigt wurde, durch Telefonüberwachung, Observationen und den Einsatz von Wanzen und Trojanern auch heimlich in den Kontakt von Anwälten und Mandaten einzudringen.
Gegen diese Vorschriften aus dem Jahre 2008 wenden sich neben vielen anderen auch die früheren oder amtierenden RAV-Vorstände und Rechtsanwälte Andrea Würdinger (Berlin), Wolf Dieter Reinhardt…
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Stellungnahme

Der Entwurf nimmt sich mit einer Änderung von § 160a Abs. 1 StPO einer für die Rechtsanwaltschaft wichtigen, gegenwärtig auch vor dem Bundesverfassungsgericht streitbefangenen Regelung an. Es sei an dieser Stelle dahingestellt, ob – wie die Begründung zu dem Referentenentwurf annimmt – der von dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung u. a. vom 21.12.2007 vorgefundene Rechtszustand durch den § 160a StPO geltender Fassung tatsächlich nicht zum Nachteil der Anwaltschaft und der Rechtsratsuchenden verändert wurde. Jedenfalls hat eine gesetzliche Wertung, welche Berufsgeheimnisträger und welche Kommunikationsbeziehung in welchem Maße von Ermittlungsmaßnahmen betroffen werden dürfen, auch über die Strafprozessordnung hinaus weit reichende Bedeutung.

Die in dem…

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Pressemitteilung vom 11.05.2009
„Mit dem BKA-Gesetz steht nicht weniger auf dem Spiel als die freie Advokatur, d.h. die Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit frei von staatlicher Kontrolle, Einschüchterung oder Bevormundung.“ Mit dieser Warnung begründet die Berliner Rechtsanwältin Andrea Würdinger, Vorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) den Schritt, gemeinsam mit zwei Vorstandskollegen aus dem RAV gegen das BKA-Gesetz Verfassungsbeschwerde einzulegen. Die weiteren Beschwerdeführer sind der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Martin Lemke (Hamburg) und Wolf Dieter Reinhard (Hamburg), Mitglied im Vorstand des RAV und der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger. Vertreten werden sie durch Rechtsanwalt Sönke Hilbrans (Berlin). „Das BKA-Gesetz eröffnet…
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