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Gesetzentwurf der Bundesregierung zum kontrollierten Umgang mit Cannabis

Stellungnahme des RAV vom 3.11.23

Stellungnahme des RAV zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) (BT-Drs. 20/8763) anlässlich der Anhörung im BT-Gesundheitsausschuss am 06. November 2023.

Verfasser: Prof. Dr. iur. habil. Helmut Pollähne, Rechtsanwalt in Bremen

Vorbemerkungen

Einerseits: Der Einstieg in die Entkriminalisierung der Drogenpolitik ist überfällig, das CanG ist ein wichtiger, wenn auch nur ein erster Schritt in die richtige Richtung (immerhin: der zweite Schritt zu gewerblichen Modellprojekten wird bereits angekündigt: S. 68 – möge es nicht bei Ankündigungen bleiben).

Andererseits: Man ersetze in dem GesE zum KCanG das Wort Cannabis durch Alkohol und die Absurdität der gesamten Konstruktion springt ins Auge.

Allerdings: Internationales und Europarecht werden als Hemmschuhe in Stellung gebracht (BT-Drs. S. 69 ff.); dass dabei letztlich nur die ‚Flucht‘ in das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit weiterhelfen soll, greift zu kurz. Soweit in diesem Zusammenhang auch auf die Entscheidung des BVerfG vom 27.04.1994 (BVerfGE 90, 145) Bezug genommen wird (aaO), ist gleichermaßen die aktuelle Entscheidung vom 14.06.2023 (2 BvL 3/20 u.a., Rn. 68 ff.) in den Blick zu nehmen: Dass dort auch im Jahre 2023 noch immer unverhohlen auf den „europäischen Kulturkreis“ verwiesen wird, in dem man den Alkoholkonsum „nicht effektiv unterbinden könne“ (aaO Rn. 103 f.), hinterlässt Fassungslosigkeit und provoziert ein süffisantes „na denn: Prost!“

Außerdem: Der Konsum von illegalisierten Rauschmitteln war immer schon straffrei (und übrigens auch kein Bußgeldtatbestand, s. dazu u. 3.4), auch wenn es bekanntlich schwierig ist, straffrei zu konsumieren. So oder so irritiert jedoch der Antrag der CDU/CSU-Fraktion (BT-Drs. 20/8735), wenn es unter der Überschrift „Cannabislegalisierung stoppen“ u.a. heißt, eine „Legalisierung von … Konsum für alle Erwachsenen wird zu einer Ausweitung des Cannabiskonsums führen.“

Der Schildower Kreis (Drogenpolitisches Netzwerk aus Wissenschaft und Praxis: SK) hat sich unter dem 24.07.2023 ebenso ausführlich wie fundiert zu dem diesem GesE zugrundeliegenden RefE geäußert. Der Verfasser (selbst SK-Mitglied) macht sich jene Stellungnahme zu eigen und verweist ergänzend darauf, auch um Wiederholungen zu vermeiden.

1.

Zielsetzung(en)

Die in der Begründung des GesE zum CanG genannten Ziele – verbesserter Gesundheitsschutz, Stärkung cannabisbezogener Aufklärung und Prävention, Eindämmung illegaler Märkte für Cannabis, Stärkung des Kinder- und Jugendschutzes, Kontrolle der Qualität von Konsumcannabis zum Verbraucherschutz, Verhinderung der Weitergabe verunreinigter Substanzen (BT-Drs. 20/8704 S. 1) – sind zu befürworten; dass sie mit dem geplanten Gesetz jedenfalls besser erreicht werden, als bei Beibehaltung des geltenden Rechts, ist fachlich weitgehend unstreitig.

Die bisherige Drogenkontrollpolitik ist (übrigens nicht nur, was Cannabis betrifft) gerade in puncto Prohibition gescheitert. „Die bisherige restriktive Cannabis-Politik hat die Ziele eines ausreichenden Gesundheits-, Kinder- und Jugendschutzes sowie einer wirksamen Bekämpfung der Drogenkriminalität nicht erreicht. Eine große und weiter zunehmende Zahl von Menschen in Deutschland erwerben und konsumieren Cannabis vom Schwarzmarkt mit unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit und den Jugendschutz. Dieser gesellschaftlichen Realität stellt sich dieses Gesetz.“ (BT-Drs. aaO S. 70) Zu Recht! Auf die geplante Evaluation (§ 43 KCanG) mag man so oder so gespannt sein; der Versuchung, mögliche Ergebnisse der Evaluation in der Diskussion um das CanG vorwegzunehmen, ist zu widerstehen.

Eher versteckt (unter F. Weitere Kosten, BT-Drs. aaO S. 4) findet auch die Entlastung der Gerichte Erwähnung, wo „voraussichtlich ... rund 225 Mio“ Euro jährlich eingespart werden sollen. Dabei wird unterschlagen, dass nicht nur gerichtliche Strafverfahren stark verringert werden, sondern vor allem auch der Aufwand bei Polizei und Staatsanwaltschaften (s. aber auch BT-Drs. aaO S. 84 f.).

Eine ganz wesentliche Zielsetzung der Entkriminalisierung wird damit freilich nur indirekt thematisiert: Die polizeiliche und strafjustizielle Verfolgung von Cannabis-Konsument*innen zu reduzieren, den Kontrolldruck abzubauen und das notorische Kriminalisierungsrisiko zu senken.

Unklar bleibt, was mit Schutz der Bevölkerung („Bürgerinnen und Bürger“) vor „den Folgen des … Cannabis-Konsums“ gemeint sein soll, zumal auch von indirekten Folgen die Rede ist (BT-Drs. aaO S. 1): Über den Nichtraucherschutz hinaus, der hier nicht gemeint sein kann, dienen die Konsumverbote (s.u. 3.4) dem Kinder- und Jugendschutz.

2.
Änderungen des BtMG (Art. 3) sowie BZRG und EGStGB (Art. 11 und 13)

2.1
BtMG ohne Cannabis

Es ist konsequent (und letztlich auch gesetztechnisch überzeugend), Cannabis komplett aus dem Anwendungsbereich des BtMG zu nehmen (qua Änderung der Anlagen). „Die Strafvorschriften der §§ 29 ff. BtMG gelten daher in diesem Rahmen nicht mehr für cannabisbezogene Handlungen.“ (BT-Drs. aaO S. 128). Zu den neuen Strafbarkeitsvorschriften des KCanG bzw. des MedCanG, die insoweit die §§ 29 ff. BtMG vollständig ersetzen, wird andernorts Stellung genommen (s.u. 3.6).

Es darf angenommen werden, dass tatbestandliche Unterschiede zwischen den §§ 29 ff. BtMG einerseits und § 34 KCanG sowie § 25 MedCanG andererseits und die auch daraus folgenden abweichenden Strafandrohungen gewollt sind, und das ist auch gut so. Insbesondere das Absehen von den horrenden Strafandrohungen der §§ 30, 30a BtMG, die oft zu einer ‚Flucht‘ in die minder schweren Fälle führen, um überhaupt noch zu einigermaßen angemessenen Strafen kommen zu können, ist zu begrüßen: „[Die] Einführung einer kontrollierten Weitergabe von Cannabis an Erwachsene zu nicht-medizinischen Zwecken ist eine Reaktion auf eine geänderte Risikobewertung, sodass geringere Strafrahmen sachgerecht sind.“ (BT-Drs. aaO S. 128)

Insgesamt sollte noch deutlicher zum Ausdruck kommen, dass das neue Can-Recht keine Submaterie des Btm-Rechts darstellt, sondern eine eigenständige Rechtsmaterie vornehmlich im Bereich des Gesundheits-, Verbraucherschutz- sowie Kinder- und Jugendschutzrechts.

2.2
Änderungen zum BZR (§ 40 ff. KCanG und Art. 11) und des EGStGB (Art. 13)

Die Regelungen zur Tilgungsfähigkeit (§§ 40 ff. KCanG) sind zu begrüßen; der damit verbundene Aufwand ist rechtsstaatlich hinzunehmen. Bemerkenswert ist, dass selbst der GesE von ca. 328.000 Betroffenen ausgeht (BT-Drs. aaO S. 85 und 88). Wegen der in § 40 Abs. 3 KCanG vorgesehenen Restriktionen (dazu BT-Drs. aaO S. 133) werden für zahlreiche weitere Fälle das Antragsverfahrens des BZRG greifen müssen.

Art. 313 EGStGB soll hinsichtlich noch nicht vollstreckter Strafen entsprechend gelten (Art. 316o EGStGB des Entwurfs: müsste wohl Art. 316p werden, da Art. 316o inzwischen anderweitig belegt ist). Dass die Regelung dahingehend eingeschränkt werden soll, auch die Umstellung von Straftaten auf Ordnungswidrigkeiten nicht zu erfassen, überzeugt nicht (gilt entsprechend für die in § 48 BRZG vorgesehene Änderung). Für andere Fälle bliebe nur das Begnadigungsrecht.

3.
Einführung eines KCanG (Art. 1)

Vorliegend soll primär zum KCanG Stellung genommen werden, beschränkt auf einige Einzelregelungen (und vorrangig aus strafrechtlicher und kriminalpolitischer Sicht):

3.1
Terminologisches (u.a. § 1 KCanG)

Der Katalog des § 1 KCanG ist beeindruckend, aber ggf. nicht erschöpfend, was auch der Abgleich mit dem BtMG zeigt (das darauf ergänzend Bezug genommen werden soll, BT-Drs. aaO S. 92, überzeugt nicht). Insb. wäre es an der Zeit, gesetzgeberisch das Handeltreiben einzugrenzen: Die allzu extensive Rechtsprechung sollte nicht auch noch auf das neue Can-Recht übertragen werden. Entsprechendes gilt – soweit daran überhaupt festgehalten werden soll (dazu 3.3 und 3.6) – für die nicht geringe Menge.

Cannabis ist zukünftig „kein Betäubungsmittel“ mehr (BT-Drs. aaO S. 150), und erst recht – wie gerne bei der Polizei, in Teilen der Justiz und der Medien dramatisiert – kein „Rauschgift“! Oder man soll – endlich – so ehrlich sein, auch Alkohol als Betäubungsmittel und Rauschgift zu klassifizieren.

3.2
Umgangs-Verbote (§ 2 KCanG) und Ausnahmen (Abs. 3)

Dass ein Gesetz, das die bisherigen „Verbotsregelungen“ zu Recht als gescheitert einstuft (BT-Drs. aaO S. 1), beginnt mit einem umfassenden Verbot des Umgangs mit Cannabis (§ 2 Abs. 1), irritiert und ist wohl einerseits nur gesetzestechnisch zu erklären und andererseits (aaO S. 70) den internationalen und europarechtlichen Vorgaben geschuldet. Juristisch interessant sind „verwaltungsrechtliche“ Verbote (BT-Drs. aaO S. 92) allerdings nur, wenn Verstöße Konsequenzen zeitigen; deshalb sei dies erörtert, wo es um Straf- und Bußgeldvorschriften geht (s.u. 3.4, 3.6 und 3.7). Der SK (aaO S. 2) kritisiert gleichwohl zu Recht, dass der GesE weiterhin den Geist der Prohibition atmet.

Entscheidend – gerade auch in puncto Strafbewehrung der Verbote – sind letztlich die Ausnahmen, also der Besitz gem. § 3, der private Eigenanbau gem. § 9 und der gemeinschaftliche Eigenanbau gem. §§ 11 ff. Weitere Ausnahmen ergeben sich – gesetztechnisch nicht ganz überzeugend (zumal der GesE in BT-Drs. aaO S. 93 die zulässigen Umgangsformen in § 2 als „abschließend“ begreift) – aus den Strafvorschiften zum Erwerb (§ 34 Abs. 1 Nr. 8 KCanG; s. dazu u. 3.3.2).

Dass diese Ausnahmen nicht „in militärischen Bereichen der Bundeswehr“ gelten, lädt zum Schmunzeln ein – und zu fragwürdigen Umkehrschlüssen, denn es gehört nicht viel Phantasie dazu sich vorzustellen, dass es auch andere Bereiche gibt, in denen die genannten Ausnahmen nicht gelten (aber dafür sah sich die Bundesgesetzgebung evtl. nicht zuständig).

3.3
Erlaubter Besitz (§ 3 KCanG) – nur – für „Erwachsene“?

Im Hinblick auf die Ziele des Gesetzes (s.o. 1) ist es nachvollziehbar, dass Erlaubnisse nur für „Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben“, gelten. Was in der Regelungssystematik der Verbotssanktionierung (§§ 2 Abs. 1 iVm 34 Abs. 1) aber ggf. übersehen wurde: Wenn der unerlaubte Besitz weiterhin strafbar sein soll, könnte dies dahingehend missverstanden werden, dass sich Jugendliche in jedem Fall strafbar machen, da ihnen jeglicher Besitz untersagt bleibt (arg. § 3). Eine Klarstellung erscheint angezeigt, denn ein Sonderstrafrecht für Jugendliche wäre ein inakzeptables Novum – die Klarstellung ist bisher allerdings nur in der Begründung zu finden (BT-Drs. aaO S. 93 zu § 2 Abs. 4 Nr. 2 KCanG): Dier Rede ist von Fällen, dass „Minderjährige gegen das verwaltungsrechtliche Verbot verstoßen, sie sich aber im für Erwachsene straffreien Rahmen verhalten haben, sodass für sie keine Strafbarkeit gegeben ist“. Und an andere Stelle heißt es dazu (BT-Drs. aaO S. 129):

§ 2 Abs. 1 sieht für die Cannabis-Umgangsformen, die in § 34 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 genannt sind, ein grundsätzliches Verbot vor. Ausnahmen sind nach § 2 Abs. 3 nur für Volljährige vorgesehen. Das Konsumcannabisgesetz verfolgt im Sinne des Jugendschutzes die Intention, dass der Umgang mit Cannabis für Minderjährige verwaltungsrechtlich verboten bleibt (vgl. insb. § 5 Abs. 1). Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – Strafrecht dient nur als ultima ratio – sollen aber die Handlungen, die Erwachsenen gestattet werden, auch für Minderjährige nicht strafbewehrt sein. Obwohl das verwaltungsrechtliche Umgangsverbot mit Cannabis für Minderjährige nach § 2 Abs. 1 also uneingeschränkt gilt, sind insb. die Straftatbestände § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2, 6 und 8 (straffreier Besitz und Erwerb von Cannabis bis zu 25 g; straffreier gleichzeitiger Anbau von maximal drei Cannabispflanzen; straffreie Weitergabe von Cannabis unter sehr engen Grenzen) so ausgestaltet, dass eine Strafbarkeit für Jugendliche erst dann gegeben ist, wenn auch der zulässige Handlungsrahmen für Erwachsene überschritten ist. Soweit sich Minderjährige – wie Erwachsene – strafbar machen, gelten weiterhin nicht die allgemeinen Strafrahmen und Strafzumessungsvorschriften, sondern die besonderen Rechtsfolgenbestimmungen des JGG (§§ 2 Abs. 2, 5 ff.).

Ohne diese Begründung ließe sich all das dem Gesetzestext allerdings nicht entnehmen.

Dass der GesE hier (also in Bezug auf „Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben“, wenn auch nur in der Begründung) von „Erwachsenen“ spricht, irritiert zudem, da das Recht bisher Kinder und Jugendliche sowie Heranwachsende kennt (JGG; s. auch § 1 Nr. 18-20 KCanG), außerdem Volljährige.

§ 3 Abs. 1 und 2 KCanG sind die Schlüsselnormen für die Entkriminalisierung und deshalb grundsätzlich zu befürworten. Diskutabel sind die Mengen (vgl. auch BT-Drs. 20/8763 S. 11 und 20/8704 S. 196 f.) – zumal in Anbetracht einer verwirrenden Regelungstechnik (der BRat weist aaO zudem zutr. auf absehbare Konkurrenzprobleme hin):

3.3.1
Besitz

Der Besitz „von bis zu 25 g Cannabis“ ist Volljährigen „zum Eigenkonsum“ erlaubt (§ 3 Abs. 1 KCanG). Dabei verzichtet auch die Begründung des GesE darauf, an Wirkstoffmengen anzuknüpfen, stattdessen wird lediglich auf „konsumfähiges getrocknetes Pflanzenmaterial“ abgestellt (BT-Drs. aaO S. 94; zu § 19 Abs. 3 S. 2 KCanG s. 3.3.2). Damit wird immerhin auch Abschied genommen von der „geringen Menge“ des § 31a Abs. 1 BtMG und von der Orientierung an den sog. „Konsumeinheiten“. Im Übrigen ist dem GesE allerdings nicht zu entnehmen, wie die max. Menge von 25 g Cannabis (bzw. 50 g bzgl. Erwerb, s.u.) begründet wird (ausf. dazu SK aaO S. 3 f.).

3.3.2
Erwerb und Entgegennahme

Der Erwerb bzw. die Entgegennahme von Cannabis ist verboten (§ 2 Abs. 1 Nr. 8); eine Ausnahmeregelung i.S.d. § 3 (zum Besitz, s.o.) ist nicht vorgesehen, die Entgegennahme nur im Rahmen der geplanten Anbauvereinigungen. Die Botschaft irritiert: Du darfst Cannabis in bestimmten Mengen besitzen, aber nicht erwerben! Die Auflösung erfolgt – gesetzestechnisch nicht wirklich überzeugend – erst bei den Strafvorschriften: Der Erwerb bzw. die Entgegennahme von max. 25 g „pro Tag“ und max. 50 g „pro Monat“ (gemeint ist offenbar der Kalendermonat) ist zwar verboten (s.o.), aber nicht strafbar (arg. § 34 Abs. 1 Nr. 8).

Der Systematik – und dem Grundansatz – des Gesetzes gemäß könnte unklar sein, welche Quelle des Erwerbs damit gemeint ist. Die folgende Klarstellung im GesE ist zu begrüßen, verbunden mit der Hoffnung, dass sich auch die spätere Strafverfolgungspraxis daran orientiert (BT-Drs. aaO S. 129):

Dies gilt unabhängig davon, ob das Cannabis auf dem Schwarzmarkt oder auf legalem Weg erworben wurde. Dieser Ansatz ist sachgerecht, um die Strafverfolgungsbehörden zu entlasten sowie aufwendige und unverhältnismäßige labortechnische Untersuchungen zu vermeiden.

Da das KCanG zunächst einmal (und perspektivisch außerhalb von Modellprojekten) keinen legalen „Erwerb“ (gegen Entgelt) von Cannabis kennt, ist dieser bis auf Weiteres auf den Schwarzmarkt beschränkt, während das Gesetz im Übrigen die Entgegennahme im Rahmen von Anbauvereinigungen (§§ 19 ff.: „kontrollierte Weitergabe“) normiert, dies freilich – terminologisch nicht frei von Widersprüchen – nicht unentgeltlich (§ 25).

Die Mengendifferenzierung hinsichtlich der Weitergabe an Heranwachsende (in § 19 Abs. 3 S. 2 KCanG: max. 30 g) und zusätzlich die Begrenzung auf einen „THC-Gehalt von 10 %“ ist nicht zu legitimieren – immerhin handelt es sich um dieselben Heranwachsenden, die unbegrenzte Mengen an Tabakerzeugnissen und sogar hochprozentigem Alkohol erwerben dürfen! Es irritiert zudem, dass sie zugleich Cannabis (ohne Begrenzung des THC-Gehalts) bis zu 50 g pro Monat straffrei erwerben oder entgegennehmen dürfen (arg. § 34 Abs. 1 Nr. 8 b).

3.4
Konsumverbote (§ 5 KCanG)

Sanktionsbewehrte Konsumverbote waren dem BtMG bisher fremd (auch das JSchG kennt keine vergleichbaren Regelungen, vgl. §§ 9 f.); ob lokale Alkoholkonsumverbote in Teilen der Öffentlichkeit rechtmäßig sind, bleibt umstritten (vgl. nur Braun, Die Gemeinde 2018, 76 mwN).

Die Regelungen des § 5 Abs. 2 KCanG erzeugen – das ist gerade am Beispiel einiger Städte bereits eindrucksvoll dargelegt worden (vgl. auch SK aaO S. 10) – flächendeckende Bannkreise. Die Entfernung von 200 m (und das heißt: 400 m im Durchmesser) von Schulen, Kinderspielplätzen sowie Kinder-/Jugendeinrichtungen und Sportstätten sowie schließlich Anbauvereinigungen schießt über das legitime Ziel im wahrsten Sinne des Wortes weit hinaus! Einmal mehr stellt sich hier – und gerade auch in Fußgängerzonen (§ 5 Abs. 2 Nr. 5) – die Frage nach der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung des „öffentlichen Konsums von Alkohol“ (dass der GesE von „örtlichen Konsumverboten“ spricht, BT-Drs. aaO S. 131, stiftet zusätzlich Verwirrung). Dass im Hinblick auf die Kontrolle solcher Bannkreise erhebliche Vollzugsdefizite vorprogrammiert sind (so der BRat in BT-Drs. aaO S. 169; dagegen die BReg in BT-Drs. 20/8763 S. 3), was letztlich mit einer gewissen Willkür einhergehen wird, macht es nicht besser.

3.5
Anbauvereinigungen

Der SK (aaO S. 7 ff.) hat sich umfassend zu den Regelungen die zukünftigen Anbauvereinigungen betreffend geäußert, insb. zu deren Realitätsgehalt: Dem ist hier nichts hinzuzufügen.

3.6
Strafbarkeiten

Verstöße gegen die Verbote des § 2 Abs. 1 KCanG sollen durchweg strafbewehrt sein (§ 34 Abs. 1 KCanG), es sei denn, es sind Ausnahmen vorgesehen (s.o. 3.2). Bei aller Einsicht in die Vorgaben des internationalen und europäischen Rechts (s.o. vor 1.) ist keineswegs ausgemacht, dass alle Verbote strafbewehrt sein müssten: Gerade der Besitz größerer Mengen als erlaubt muss nicht mit Strafe bedroht sein (z.T. noch weitergehend: SK aaO S. 4 ff.).

§ 34 Abs. 3 Nr. 4 und Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a) und b) stellen weiterhin – also ohne Abkehr vom BtMG – auf die „nicht geringe Menge“ ab; dazu der GesE (BT-Drs. aaO S. 130):

Der konkrete Wert einer nicht geringen Menge wird abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln sein. Im Lichte der legalisierten Mengen wird man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und wird der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit.

Dies der Rechtsprechung zu überlassen, ist gewagt. Der SK (aaO S. 4 f.) hat überzeugend dargelegt, dass die besseren Gründe ohnehin dafür sprechen, auf die Kategorie der nicht geringen Menge ganz zu verzichten.

Auch die Gewerbsmäßigkeit (§ 34 Abs. 4 Nr. 1 KCanG) – wenngleich aus dem BtMG übernommen (dort §§ 29 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 30 Abs 1 Nr. 2) – ist in Frage zu stellen, trifft die Strafverschärfung in der strafjustiziellen Praxis doch v.a. sozial Schwächere und Drogenkonsument*innen.

Wenn schließlich daran festgehalten werden soll, neben Schusswaffen auch andere gefährliche Gegenstände z.B. dafür genügen zu lassen, das bloße Sichverschaffen einer nicht geringen Menge Cannabis zum Verbrechen (§ 34 Abs. 4 Nr. 4 a KCanG) hochzustufen, sollte klargestellt werden, dass sich dies allenfalls auf sog. gekorene ‚Waffen‘ beziehen kann. Dass Verbrechenstatbestände im neuen Can-Recht überhaupt unangebracht sind, hat der SK überzeugend dargelegt (aaO S. 4 ff.).

3.7
Ordnungswidrigkeiten

Soweit der Verstoß gegen bestimmte Regularien bußgeldbewehrt sein soll, ist die Höhe der Geldbußen zu überdenken: Während § 17 Abs. 1 OWiG regelmäßig von max. 1.000 € ausgeht, sind in § 36 Abs. 2 KCanG Geldbußen von bis zu 100.000 € vorgesehen, in einigen Fällen ‚nur‘ von bis zu 30.000 €. Sogar der – ggf. auch nur fahrlässige – Konsum in einem Bannkreis (§ 36 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) soll mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 € belegt werden können: Völlig unverhältnismäßig (vgl. auch SK aaO S. 6). Selbst das BtMG (dort § 32 Abs. 2) kennt ‚nur‘ Geldbußen bis zu 25.000 €.

4.
Hintertüren für Länder (wie z.B. Bayern)?

Der bayrische Gesundheitsminister hat bereits angekündigt, man werde „alle rechtlich infrage kommenden juristischen Schritte ergreifen, um gegen das Gesetz vorzugehen, sollte es in Kraft treten“ (PM v. 28.09.2023).

Bei Vorliegen der Voraussetzungen haben Antragstellende allerdings einen Rechtsanspruch auf Erteilung der Erlaubnis (§§ 11, 12; vgl. auch BT-Drs. 20/8704 S. 183 und 20/8763 S. 8). Auch die §§ 12 Abs. 3 und 13 Abs. 4 bieten den zuständigen Behörden keinen Spielraum, „gegen das Gesetz vorzugehen“.

Soweit § 11 Abs. 3 Ziff. 3 KCanG auf Rechtsvorschriften verweist, die „aufgrund dieses Gesetzes“ erlassen werden können, sind das zunächst einmal solche des Bundes (§§ 17 Abs. 4, 21 Abs. 4 und 27 Abs. 7). Letztlich macht gerade die Verordnungsermächtigung des § 30 KCanG deutlich, dass außerhalb dessen Anwendungsbereichs (betr. Zahl der Anbauvereinigungen; krit. dazu SK aaO S. 8) kein Raum ist für restriktive landesrechtliche Verordnungen.

Es wird zukünftig strikt zu kontrollieren sein, dass Bundesrecht Landesrecht bricht (Art. 31 GG) und die Bundestreue eingehalten wird.

Berlin/Bremen, den 03.11.2023

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