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Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts

Stellungnahme des RAV zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts, 24.08.23

Zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts hat der RAV die hier folgende Stellungnahme eingereicht.

Verfasser: Dr. Björn Elberling, Rechtsanwalt, Kiel/Leipzig

Diese Stellungnahme beschränkt sich auf die angedachten Änderungen strafprozessualer Normen zur Nebenklage in Verfahren wegen Straftaten nach dem VStGB.

Insoweit ist zunächst zu begrüßen, dass Verletzte von Straftaten nach dem VStGB ausdrücklich zur Nebenklage zugelassen werden sollen und dass Ihnen in etwa gleichem Maße wie Verletzten von Straftaten nach dem StGB auch das Recht auf Beistandsbeiordnung eingeräumt werden soll (vorgeschlagene Änderungen der §§ 395 und 397a StPO).

Zu kritisieren ist dagegen, dass der Entwurf die gesetzgeberische Tendenz, die tatsächliche Teilnahme von Nebenkläger_innen am Verfahren dann vor allem als störend zu behandeln und einzuschränken, fortsetzt und mit einer Sonderregelung für Verletzte von VStGB-Taten noch auf die Spitze treibt.

Das betrifft zum einen die Erweiterung der sog. „Pool-Lösung“, also der Möglichkeit, mehreren Verletzten auch gegen ihren Willen einen gemeinsamen anwaltlichen Beistand beizuordnen, § 397b StPO. Sollte diese Regelung nach dem Willen des damaligen Gesetzgebers neben dem kodifizierten Regelbeispiel – mehrere Angehörige einer getöteten Person – v.a. „etwa bei Großschadensereignissen oder Umweltdelikten“ eingreifen (BT-Drs. 19/14747, S. 39), so wird sie in der gerichtlichen Praxis unproblematisch auch bei vorsätzlich gegen mehrere Personen gerichteten Taten für anwendbar gehalten; das Erfordernis der „gleichgelagerten Interessen“ wird zum Teil darauf reduziert, dass kein konkreter, eine gemeinsame Vertretung nach § 43a Abs. 4 BRAO ohnehin verbietender Interessenwiderspruch dargetan ist (so etwa Kammergericht, Beschluss vom 26.04.2021, 2 Ws 33/21, Rn. 7).

Letztere Tendenz wird durch den vorliegenden Entwurf für Betroffene von VStGB-Verstößen zementiert: für sie sollen gleichgelagerte Interessen in der Regel anzunehmen sein, wenn den Taten „der gleiche Lebenssachverhalt“, also letztlich die gleiche prozessuale Tat, „zugrunde liegt“ (Entwurf S. 38 f.). Dass aber etwa verschiedene Überlebende eines Massakers oder verschiedene Betroffene von massenhaft als Kriegstaktik eingesetzter sexualisierter Gewalt „in ihrer Opfererfahrung in gleicher Weise betroffen sind“ (Entwurf S. 39), so dass ihre Interessen ganz unproblematisch von demselben Beistand vertreten werden können, stellt eine bloße Behauptung dar. Insbesondere ist nicht ersichtlich, warum dies für Betroffene von VStGB-Straftaten – anders als für Betroffene von Straftaten nach dem StGB – gar als gesetzlicher Regelfall gelten soll.

Daneben sieht der Entwurf für Betroffene von VStGB-Straftaten noch eine weitere Einschränkung ihrer Möglichkeit vor, tatsächlich aktiv am Prozess teilzunehmen: Ihre Verfahrensrechte sollen ausschließlich durch den anwaltlichen Beistand ausgeübt werden dürfen, wenn ihre Nebenklagebefugnis ausschließlich auf Straftaten nach dem VStGB beruht (geplante Einführung eines § 397b Abs. 4 StPO) – wenn es sich also um Fälle der Anwendbarkeit des Weltrechtsprinzips handelt. Als Begründung für diese Regelung werden im Entwurf ausschließlich Handhabbarkeitsbedenken angesichts der Vielzahl von Nebenklageberechtigten benannt (S. 39).

Gerade angesichts der Tatsache, dass die Regelung für „reine“ VStGB-Verfahren immer und völlig unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der Nebenklageberechtigten, für StGB-Verfahren dagegen unabhängig von der Zahl der Nebenklageberechtigten nie gelten soll, lässt allerdings den Eindruck entstehen, dass hinter der Regelung auch Erwägungen zu den besonderen Herausforderungen der Teilnahme von Drittstaatsangehörigen an solchen Verfahren stehen – denn wenn die StPO diesen ein Recht auf aktive Teilnahme am Strafprozess in Deutschland einräumt, muss sich etwa das Aufenthaltsrecht fragen lassen, ob das nicht auch ein Recht auf Einreise nach Deutschland zur Teilnahme am Verfahren implizieren muss, usw.

Gerade die Tatsache, dass hier für Betroffene von Straftaten nach dem VStGB – also von Straftaten, die bundesdeutsche Gerichte häufig unter Anwendung des Weltrechtsprinzips verfolgen und bei denen Betroffene sich häufig nicht in Deutschland aufhalten – besondere Regelungen vorgesehen werden, lässt also den Eindruck entstehen, dass der Entwurf die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen beim und ihre aktive Teilnahme am Strafverfahren als besonders störend empfindet. Im Ergebnis sieht der Entwurf vor, dass einerseits bundesdeutsche Gerichte Strafgewalt über Territorium und Angehörige von Drittstaaten ausüben, dass aber andererseits die ebenfalls drittstaatsangehörigen Verletzten in ihrer Möglichkeit, am Verfahren teilzunehmen, erheblich eingeschränkt werden – was wiederum auch die erhofften Wirkungen solcher Strafverfahren für betroffene Communities und Zivilgesellschaft in den jeweiligen Drittstaaten erheblich in Zweifel zieht.

Einen solchen Umgang mit den Interessen betroffener Drittstaatsangehöriger hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 18. August 2020 zurecht als sehr problematisch angesehen. Dort hatten in einem Verfahren wegen des Vorwurfs von Staatsfolter in Syrien syrische Presseangehörige Zugang zu Übersetzungsmöglichkeiten beantragt, nachdem die bis dahin übliche „Flüsterübersetzung“ ins Arabische in Folge von Corona-Sicherheitsmaßnahmen unmöglich geworden war. Das war vom Oberlandesgericht mit Machbarkeitserwägungen und u.a. mit dem Argument abgelehnt worden, dass die Antragstellenden die Gerichtssprache nicht beherrschten, liege in ihrer Verantwortungssphäre. Dass dies verfassungsrechtlich jedenfalls problematisch war, begründete das Bundesverfassungsgericht in seiner einstweiligen Anordnung gerade auch mit der besonderen Situation eines Strafverfahrens unter Rückgriff auf das Weltrechtsprinzip: Denn es sei zu berücksichtigen,
„dass es sich um ein Strafverfahren handelt, das – insbesondere in den Bevölkerungskreisen, für die die Beschwerdeführer zu berichten bezwecken – eine ungewöhnlich große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht und damit naheliegend auch auf das Interesse von Medienvertretern stößt, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Dies gilt umso mehr angesichts des von den Beschwerdeführern betonten Umstands, dass die Bundesrepublik hier eine Gerichtszuständigkeit für sich beansprucht, die nach allgemeinen Grundsätzen nicht bestünde, sondern die gerade dem besonderen, die internationale Gemeinschaft als Ganze berührenden Charakter der infrage stehenden Straftaten geschuldet ist.“ (BVerfG, Beschluss vom 18.08.2020, – 1 BvR 1918/20, Rn. 11).

Was für den Umgang mit Medien gilt, muss aber aus hiesiger Sicht erst recht für Betroffene von Verbrechen nach dem VStGB gelten: wenn bundesdeutsche Gerichte eine Gerichtszuständigkeit über Straftaten beanspruchen, die sich in Drittstaaten und gegen Drittstaatsangehörige ereignet haben, dann müssen sie den Geschädigten solcher Straftaten in gleicher Weise wie den Geschädigten innerstaatlich begangener Straftaten eine Teilnahme am Verfahren ermöglichen. Dass dies – für die deutschen Gerichte, aber möglicherweise in der Folge auch für andere deutsche Behörden – Herausforderungen mit sich bringt, liegt eben nicht in der Verantwortungssphäre der Betroffenen, sondern ist schlicht Ausfluss der Wahrnehmung des Weltrechtsprinzips.

Dem RAV ist bewusst, dass die Beteiligung von drittstaatsangehörigen Betroffenen von VStGB-Straftaten besondere Herausforderungen mit sich bringt, die im hergebrachten System der Nebenklage nur schwer Berücksichtigung finden können, und dass core crimes i.S.d. VStGB auch durch ihr schieres Ausmaß noch einmal besondere Herausforderungen mit sich bringen können (vgl. aus der Praxis etwa den Bericht unseres Mitglieds Dieter Magsam, „Die Nebenklage im nationalen Völkerstrafprozess aus rechtspraktischer Perspektive“, in: Bock/Wagner (Hrsg.), Gerechtigkeit aus der Ferne? (Tagungsband), im Erscheinen, S. 135-145). Mit diesen Herausforderungen wird die deutsche Justiz und das deutsche Strafprozessrecht einen Umgang finden müssen, wollen deutsche Gerichte auch weiterhin eine Gerichtszuständigkeit nach dem Weltrechtsprinzip für sich beanspruchen. Es mag auch durchaus sein, dass hierfür bisher nicht vorhandene Regelungen angedacht werden müssen, um die Interessen der betroffenen Individuen und Communities und das Interesse an der Handhabbarkeit solcher Strafverfahren in Einklang zu bringen (vgl. etwa den Vorschlag einer „NGO-Nebenklage“ bei Magsam, a.a.O., S. 144 f.). Klar ist aus Sicht des RAV aber jedenfalls, dass die im Entwurf angelegte Behandlung von Verletzten von VStGB-Straftaten als „Nebenklageberechtigte zweiter Klasse“, deren Interessen einfach stellvertretend und gebündelt von einer_einem deutschen Rechtsanwält_in wahrgenommen werden können, nicht der richtige Weg ist.

Berlin, 24.08.2023

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