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BMJ: Eckpunkte zum Kindschaftsrecht und zum Abstammungsrecht

RAV-Stellungnahme, 30.1.2024

Stellungnahme des RAV

auf die vorgelegten Eckpunkte zum Kindschaftsrecht und zum Abstammungsrecht:

  • Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Kindschaftsrechts: Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht.
  • Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz für eine Reform des Abstammungsrechts
 

Verfasser: Dirk Siegfried, Rechtsanwalt & Notar

I.  Eckpunkte für die Reform des Sorge- und Umgangsrechts sowie des Adoptionsrechts

Diese Eckpunkte unterstützen wir in vollem Umfang. Sie sind kindeswohlorientiert und gehen etliche praxisrelevante Probleme an, wie z.B. die Mängel beim Schutz vor häuslicher Gewalt. Zu ergänzen wären diese Eckpunkte aus unserer Sicht um einen weiteren Punkt:

§§ 9a AdVermiG, 196a FamFG sollten ersatzlos gestrichen werden. Die Vorschriften belasten die Adoptionsverfahren mit unnötiger Bürokratie. Die Sanktion des § 196a FamFG ist ferner kindeswohlwidrig, da sie Ausnahmen zum Wohl des Kindes nicht zulässt. Sie ist zudem in Fällen, in denen das Kind in eine bestehende Gemeinschaft nach § 1766a BGB hineingeboren wurde, unpraktikabel, da sich häufig vor Einleitung des Verfahrens nicht vorhersehen lässt, ob das Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1766a BGB bejaht.

II. Eckpunkte für eine Reform des Abstammungsrechts

Auch in diesen Eckpunkten sind zahlreiche Anliegen angesprochen, die wir unterstützen, z.B. die Besetzung der zweiten Elternstelle durch eine Frau ohne Adoptionsverfahren sowie präkonzeptionelle Elternschaftsvereinbarungen. In unserer nachfolgenden Stellungnahme möchten wir uns auf die aus unserer Sicht kritischen Punkte und auf die „Reformvorschläge im Einzelnen“ unter IV. des Eckpunktepapiers beschränken:

1. Personen ohne Angabe eines Geschlechts im Personenstandsregister oder mit dem Geschlechtseintrag „divers“ und Personen, die den Geschlechtseintrag geändert haben

Schon die Überschrift „Eintrag der Elternschaft im Personenstandsregister“ unter IV.1.b) der Eckpunkte verkennt das Problem. Es geht nicht nur darum, wie eine Elternschaft im Personenstandsregister eingetragen wird. Vielmehr wird diesen Personen aktuell in vielen Fällen die Elternschaft (ohne Adoption) verwehrt: So können z.B. Personen ohne Geschlechtseintrag die zweite Elternstelle aktuell über § 1592 Nrn. 1 und 2 BGB zumindest nach herrschender Auffassung überhaupt nicht einnehmen. Es muss also zuvörderst einmal darum gehen, die bestehende verfassungswidrige Diskriminierung (vgl. BVerfG, B. vom 10.10.2017, 1 BvR 2019/16) zu beseitigen und die Elternschaft überhaupt erst zu ermöglichen. Bevor sie dann eingetragen werden kann.

Ohnehin sind die Eckpunkte in diesem Punkt völlig unklar: Die unter IV.1.b) offengelassene Frage ist ja, was denn die „allgemeinen Regelungen des Personenstandsrechts“ besagen. Besagen sie z.B., dass die Elternstellen geschlechtsunabhängig besetzt werden und dann entsprechend dem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag des jeweiligen Elternteils mit „Mutter“ oder „Vater“ oder „Elternteil“ benannt werden? Oder gerade nicht? Der Umstand, dass die Eckpunkte diese sich aufdrängende Frage so leichtfüßig umgehen, lässt befürchten, dass es beim bisherigen verfassungswidrigen Zustand bleiben soll bzw. dieser für Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit dem Geschlechtseintrag „divers“ noch vertieft werden würde. Diese könnten sich nicht einmal mehr auf eine nachträglich entstandene Lückenhaftigkeit des Gesetzes berufen, wenn diese Lücke nun zementiert wird. Das wäre sowieso inakzeptabel, aber auch mit den Zusagen beim Entwurf des SBGG nicht zu vereinbaren. Es wird auf Seite 59 unten des SBGG-E vielmehr ausdrücklich erklärt, dass es sich dort nur um eine Übergangslösung bis zur anstehenden Reform des Abstammungsrechts handelt. Diese Zusage muss eingehalten werden.

2. Mangelhafte Rückwirkung

Die Eckpunkte sehen – unter IV.8. – nur für eine Fallgruppe, die der Kinder, die in eine Ehe zweier Frauen hineingeboren wurden, eine Rückwirkung vor. Selbst für diese Fallgruppe ist die vorgesehene Rückwirkung mangelhaft: Es ist nicht begründbar, die gemeinsame Elternschaft beider Frauen noch von einer Elternschaftsanerkennung abhängig zu machen. Vielmehr muss die formlose Anzeige gegenüber dem Standesamt genügen.

Vor allem aber ist zu beanstanden, dass für andere Eltern und deren Kinder eine Rückwirkung überhaupt nicht vorgesehen ist - nicht für nicht verheiratete Frauenpaare, nicht für Personen ohne Geschlechtseintrag oder mit Geschlechtseintrag „divers“ und auch nicht für Eltern mit einer Änderung des Personenstands. Dies ist weder mit den Interessen dieser Eltern und ihrer Kinder zu vereinbaren, noch mit dem Ziel der Entlastung von Gerichten und Behörden. Diese bleiben und werden vielmehr durch die Fortführung der dort noch anhängigen Verfahren und durch weitere, derzeit noch nicht anhängige Verfahren belastet, in die die Eltern durch die fehlende Rückwirkung gezwungen werden.

Auch der unter IV.8. vorgesehene Rückwirkungszeitpunkt ist völlig unzureichend. Es sollte zumindest der Zeitpunkt des Urteils des BVerfG zur „Sukzessivadoption“ vom 19.02.2013, 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, maßgeblich sein.

3. Abkehr vom Vorrang des Kindeswohls

Besonders besorgniserregend ist die unverhohlene Abkehr der Eckpunkte vom Vorrang des Kindeswohls: Bisher war das Kindeswohl unbestritten der entscheidende Aspekt des Abstammungsrechts. So hat das BVerfG im Urteil vom 19.02.2013, 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, unter Rn. 49 ausgeführt:

„Das Kindeswohl ist wesensbestimmender Bestandteil des Art. 6 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 108, 82 <102>). Die verfassungsrechtliche Gewährleistung dient in erster Linie dem Schutz des Kindes. Sie beruht auf dem Gedanken, dass in aller Regel den Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution. Das Elternrecht ist um des Kindes willen gegen Eingriffe des Staates geschützt (vgl. BVerfGE 59, 360 <376 f.>; 61, 358 <371 f.>).“

Die Eckpunkte verstoßen hiergegen in zweierlei Hinsicht:

Es liegt im Kindeswohl, eine möglichst baldige zuverlässige Zuordnung der Elternschaft zu erhalten. Die Eckpunkte sehen in IV.3.a) und b) für Fälle, in denen es bisher diese zuverlässige Zuordnung gab, aufwändige Prüfungsverfahren und ein Aufschieben der Eltern-Kind- Zuordnung vor. Bereits dies ist mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren.

Unter IV.3.b) wird ferner lediglich erklärt, das Kindeswohl habe „Bedeutung“. Es „kann“ der „entscheidende Faktor“ sein. Das ist wesentlich weniger als bisher unstreitig und vom BVerfG für maßgeblich angesehen. Unverhohlen findet hier ein Paradigmenwechsel weg vom Kindeswohl und hin zu angeblichen Interessen leiblicher Väter statt. Dies ist sowieso unzulässig und nicht einmal durch die geltend gemachten Interessen leiblicher Väter geboten:

Der auf Seite 10 oben der Eckpunkte aufgeführte Beispielsfall lässt sich schon nach aktuellem Recht leicht dadurch lösen, dass der leibliche Vater die Vaterschaft des „Sperrvaters“ anfechten kann, wenn keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Diese Einschränkung liegt im Wohl des Kindes. Weitergehende Anfechtungsrechte sind kindeswohlwidrig.

Schon deswegen ist auch der unter IV.3.b) vorgesehenen „Interessenabwägung“ zu widersprechen. Völlig unklar ist auch, was mit der anzustellenden Erwägung gemeint sein soll, „ab wann sich der leibliche Vater um das Kind bemüht hat“. Von Bedeutung könnte allenfalls sein, ab wann er sich um die rechtliche Elternschaft bemüht hat. Das wäre aktuell schon im Rahmen einer vorgeburtlichen Vaterschaftsanerkennung möglich und zukünftig auch im Rahmen einer präkonzeptionellen Elternschaftsvereinbarung bzw. Vaterschaftsanerkennung. So dass es im Wesentlichen um die Fälle ginge, in denen die leiblichen Väter es unterlassen haben, sich rechtzeitig um die rechtliche Vaterschaft zu bemühen bzw. diese der Mutter anzubieten. Es zeigt sich hier zum einen, wie wichtig es ist, den Beteiligten Möglichkeiten zu bieten, frühzeitig Rechtssicherheit zu erzeugen, zum anderen, dass Kindern die von ihnen dringend benötigte Rechtssicherheit nicht im Interesse leiblicher Väter, die von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht haben, verweigert werden darf.

4. Bevormundung nicht verheirateter Mütter

Bis zum Kindschaftsrechtsreformgesetz 1996 war zur Vaterschaftsanerkennung nicht die Zustimmung der Mutter, sondern die des Kindes, vertreten durch das Jugendamt, erforderlich. Dies hat die damalige Bundesregierung sich wie folgt erklärt: „Dies erklärt sich aus dem System der Amtspflegschaft und dem darin liegenden Misstrauen gegenüber der Mutter eines nichtehelichen Kindes.“ (vgl. BT-Drucksache 13/4899, S. 54) und folgerichtig abgeschafft.

Mit den Eckpunkten soll das Rad nun offenbar zum Teil wieder zurückgedreht werden, wenn die Zustimmung der Mutter nun doch wieder in bestimmten Fällen unter den Vorbehalt der Überprüfung durch das Familiengericht und das Jugendamt gestellt werden soll.

Das darin zum Ausdruck kommende Misstrauen und die damit verbundene Bevormundung sind sachlich nicht gerechtfertigt und mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren.

5. Präkonzeptionelle Vaterschaftsanerkennungen

Es ist den Eckpunkten nicht sicher zu entnehmen, ob zukünftig präkonzeptionelle Vaterschaftsanerkennungen zulässig sein sollen. Wir halten dies für dringend geboten. Nur so kann Eltern die Möglichkeit geboten werden, schon vor der Zeugung Rechtssicherheit bezüglich der Eltern-Kind-Zuordnung zu schaffen. Dies liegt im Interesse aller Beteiligter, vor allem der Kinder, die ihre Zeugung dem Vertrauen in diese Rechtssicherheit verdanken.

6. Keine Strafbarkeit der Beteiligung an einer Zeugung mittels Bechermethode

Die Mitwirkung an der Zeugung mittels Bechermethode ist bereits nach aktuellem Recht nicht strafbar (vgl. Siegfried, FamRZ 2019, 1979). Das wird zwar z.T. behauptet. Deswegen ist eine „Klarstellung“ – wie unter IV.8. der Eckpunkte in Aussicht genommen – sicher sinnvoll. Die Klarstellung darf sich aber nicht nur auf den Wunschelternteil beziehen. Sie muss vielmehr für alle an der Zeugung mitwirkenden Personen gelten, um diese nicht einer aktuell überhaupt nicht bestehenden Strafbarkeit zu unterwerfen.

7. Keine Verschärfung der Regelungen zur Bekämpfung „missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen“

Unter IV.6. der Eckpunkte werden Verschärfungen der Regelungen zur Bekämpfung „missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen“ in Aussicht gestellt. Zwar nicht für dieses Reformvorhaben. Wir möchten hierzu gleichwohl klarstellen, dass wir solche Verschärfungen nicht für gerechtfertigt halten. Wir verweisen hierzu auf die nochmals als Anlage beigefügte gemeinsame Stellungnahme von DAV und RAV vom 06.05.2022, wonach vielmehr die Aufhebung der Regelungen in §§ 1597a BGB, und 85a AufenthG angemessen ist.

Berlin, 30.01.2024

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